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Sieben Jahrzehnte am Puls der Musik

Die perfekte Orchestrierung: Wie Hans Thomann den weltweiten Musikhandel prägt

von Markus Biedermann
veröffentlicht am 03.06.2024

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Die perfekte Orchestrierung: Wie Hans Thomann den weltweiten Musikhandel prägt

Gabriele Röder-Thomann und Hans Thomann hießen Backstage PRO in Treppendorf mit herzlicher Gastfreundschaft willkommen. © alle Fotos (soweit nicht anders gekennzeichnet): Markus Biedermann 2024

Das Musikhaus Thomann feiert sein 70-jähriges Bestehen und ist heute präsenter denn je. Eine Delegation von Backstage PRO hat sich auf den Weg nach Treppendorf gemacht, um dieser Erfolgsgeschichte nachzuspüren. Mit dem Spezialisten für Musikhandel und E-Commerce verbindet unser Branchenportal eine jahrzehntelange Partnerschaft. Hans Thomann, der Kopf hinter dem renommierten Musikhaus, gewährte uns tiefe Einblicke in die Werte und die Entwicklung seines Unternehmens. Er sprach mit uns über die Anfänge im elterlichen Wohnzimmer, über Herausforderungen und Erfolge sowie über die Rolle der Musik in der Gesellschaft. Er reflektierte persönliche Momente, strategische Entscheidungen und wagte einen Blick in die Zukunft seines Musikhandels. Ein Gespräch, das nicht nur die geschäftliche Seite beleuchtet, sondern auch die tiefe Leidenschaft für Musik, die Thomann antreibt und die der fränkische Marktführer mit seinen Kunden teilt.

Leidenschaft als Taktgeber

Backstage PRO: Schaut man sich im Internet um, findet man viele äußerst positive Kommentare, nicht nur zu den Produkten, sondern oft auch zu dir und deinen Mitarbeitern. Diese enge Kundenbindung zeigt sich auch beim Gang über den Campus. Was ist der Kern eurer besonderen Kundenbeziehungen?

Hans Thomann: Das wurzelt tief in unserer Geschichte. Der Laden wurde ja 1954 von meinem Vater gegründet. Er wollte unbedingt Trompete lernen, was damals für junge Leute ähnlich begehrt war wie heute eine E-Gitarre. Mein Großvater war strikt dagegen, weil er darin keinen Berufsweg sah. Aber meine Großmutter hat heimlich eine Trompete gekauft, die wir heute noch besitzen und bald in unserer 'T-History' im neuen Gebäude ausstellen wollen. Mein Vater hat leidenschaftlich geübt und wurde schließlich am Konservatorium bei Professor Stegmann [Wikipedia; Anm.d.Red.] aufgenommen, dessen Werke noch heute bekannt sind. Ursprünglich ging es um die Freude an der Musik und darum, die Welt zu erleben.

Backstage PRO: Der Handel begann später?

Hans Thomann: Ja, erst als Kollegen meinen Vater wegen seiner Fähigkeiten auf der Steel-Gitarre und Geige und als einer der besten Trompeter der Region um Rat fragten. Die Musiker wollten von ihm lernen, wie man bestimmte Noten spielt oder welches Instrument sie kaufen sollten. Und in Grafenrheinfeld, wo er oft Musik machte, fragte ihn der Bürgermeister nach dem Krieg, ob er zur musikalischen Untermalung von Kirchweihen oder Prozessionen beitragen könnte, indem er die Instrumente liefert und Unterricht gibt, was er auch tat. Die Leidenschaft war enorm. Sie bildete schließlich die Grundlage für den sich entwickelnden Handel und die engen Beziehungen zu den Kunden.

So sah der Laden noch in den späten 80er Jahren aus

So sah der Laden noch in den späten 80er Jahren aus, © Thomann, Quelle: https://www.thomann.de/de/compinfo_history.html

Backstage PRO: Wie sah dann der Start des Musikgeschäfts aus?

Hans Thomann: Zu Beginn lief der Handel in unserem kleinen Familienhaus, wo wir mit fünf Geschwistern und meinen Großeltern lebten. Das Lager befand sich auf dem Dachboden und das Wohnzimmer war vollgestellt mit Produkten, um diese den Kunden präsentieren zu können. 1968 wurde das erste Geschäftshaus gebaut. Ich war damals sechs Jahre alt. Dieses erste Geschäftshaus hatte etwa 300 Quadratmeter und bot neben Holz- und Blasinstrumenten auch Hammond- und Vox-Orgeln an. Trotz des starken Wettbewerbs in der Region mit vielen anderen Musikalienhändlern in Bamberg und Nürnberg haben wir unsere Kundenbasis aufgebaut und stetig erweitert.

Backstage PRO: War der Wettbewerb damals so groß?

Hans Thomann: Ja, der Wettbewerb war extrem groß. Da wir auf dem Land sind, mussten wir immer ein Stück besser sein, damit Kunden bereit waren, 60 bis 70 Kilometer zu uns zu fahren. Diesen Anspruch, besser zu sein, haben wir dann ab 1986 im Versandgeschäft und später ab 1996 im E-Commerce weitergeführt. Diese Einstellung ist tief in unseren Genen verankert.

Vom Familienbetrieb zum Branchenführer

Backstage PRO: Ihr wollt immer eine Schippe drauflegen.

Hans Thomann: Ja, das ist so ein bisschen das Sippenthema. Bei uns arbeiten fast nur Musiker, oder zumindest Freaks und Cracks, die ihr Instrument beherrschen, es teilweise studiert haben, oder die leidenschaftlich im Bereich Recording und Beschallung tätig sind. Wir haben einen unglaublich guten Bezug zu unseren Kunden, weil wir dieselbe Sprache sprechen und uns gut in die Bedürfnisse der Kunden hineinversetzen können. 400 unserer über 1700 Mitarbeitenden nehmen sich die Zeit zu beraten und alle haben ihr Spezialgebiet. Wer im Gebläse gut ist, verkauft keine Gitarren und umgekehrt. Unsere Auszubildenden sind vom ersten Tag an in der Warengruppe tätig, zu der sie eine Leidenschaft haben.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Thomann sind Profis, oft selbst Musiker. Sie arbeiten in Bereichen, in denen sie ihre Leidenschaft für eine Instrumentengattung einbringen können. Dies garantiert unter anderem eine hohe Servicequalität beim Einstellen der auszuliefernden Gitarren oder bei notwendigen Reparaturen

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Thomann sind Profis, oft selbst Musiker. Sie arbeiten in Bereichen, in denen sie ihre Leidenschaft für eine Instrumentengattung einbringen können. Dies garantiert unter anderem eine hohe Servicequalität beim Einstellen der auszuliefernden Gitarren oder bei notwendigen Reparaturen

Backstage PRO: Aber der Sprung ist natürlich gewaltig. Von der Direktansprache durch deinen Vater zu einem globalen E-Commerce-Unternehmen. Heute hast du diese fast 400 Mitarbeiter, die sich um die Belange der Kunden kümmern.

Hans Thomann: Ja, aber das hat auch 70 Jahre gedauert. Vielleicht fehlt es manchem Start-up an Geduld. Natürlich hat sich alles in den letzten 30 Jahren etwas schneller entwickelt, aber es ging immer darum, jeden Tag ein Stück besser zu werden.

“Es ging immer darum,
jeden Tag ein Stück besser zu werden”

Backstage PRO: War es emotional, als das Elternhaus letztes Jahr der Unternehmensentwicklung weichen musste? Hat sich dadurch dein Blick auf Tradition und Zukunft verändert?

Hans Thomann: Ja, es ist mir tatsächlich schwer gefallen, das Elternhaus und einen Großteil des 68er-Hauses abzureißen, besonders weil ich im Verkauf mit dem 68er-Haus groß geworden bin. Ursprünglich wollte ich dort ein Museum einrichten, aber die Sammlungen, die ich habe, passen einfach nicht in die kleinen und teils feuchten Räume des Hauses.

Backstage PRO: Die Entwicklung verlief in all den Jahrzehnten aber nicht immer gleichmäßig. Ich habe gelesen, es gab verrückte Jahre wie 2006...

Hans Thomann: … mit 42% Wachstum! Viele sprechen heute von einer Transformation, aber ich war ja schon als Kind im Laden meines Vaters und habe alles als stetige Entwicklung erlebt. Seit meinem elften oder zwölften Lebensjahr habe ich außerhalb der Holz- und Blasinstrumente alles verantwortet, im Einkauf und Verkauf. Es war eine lange Reise.

Mit Heißen Deals auf großer Reise

Backstage PRO: Wann ging diese Reise so richtig los für dich?

Hans Thomann: 1982 war ich zum ersten Mal in Japan und mit 18 in den USA. Die Läden dort, besonders in der 48th Street in New York, fand ich viel interessanter als unsere in Deutschland. Ich habe einige Ideen mitgenommen, die allerdings nicht ganz konform mit unserem Wettbewerbsrecht waren, und bekam sofort Abmahnungen wegen Aktionen wie „Buy one, get one free“. In den USA gab es die „Minimum Advertised Prices“, die ich toll fand. Früher bekamen Musiker und Lehrer Rabatte, aber eine Oma, die für ihre Nichte ein Saxophon kaufte, bekam keinen Rabatt, was ich ungerecht fand. Das wollte ich ändern, als ich zurückkam, und so entstanden die ersten Hot Deals.

Wichtige Meilensteine: Die ersten Hot Deals und der erste Online-Shop

Wichtige Meilensteine: Die ersten Hot Deals und der erste Online-Shop, © Thomann, Quelle: https://www.thomann.de/de/compinfo_history.html

Backstage PRO: Wie bist du das angegangen?

Hans Thomann: Die ersten 6.000 Hot Deals habe ich mit meiner Frau an einem Sonntagnachmittag in Kuverts verpackt und verschickt. Die Industrie war schockiert über meine Preise. Ich fand es toll, denn es gab nur noch einen Preis, und ich habe immer den besten Deal gemacht. So entwickelten sich die Hot Deals weiter, mit Bildern und verschiedenen Währungen.

“Die Industrie war schockiert
über meine Preise.”

Am Ende haben wir elf Millionen gedruckt und jede Woche 50.000 bis 60.000 Stück in verschiedene Länder verschickt, immer mit einem neuen Kundenkreis. Das war der Anfang des Versandhandels für mich und eine kleine Revolution.

Backstage PRO: Die analogen Hot Deals habt ihr 27 Jahre lang bis Oktober 2019 verschickt.

Hans Thomann: Ja, dann haben wir den Druckbereich eingestellt.

Backstage PRO: Aber ihr habt dann auch auf dieses Wording, das ist ja schon fast eine Marke für sich, "Hot Deals", ganz verzichtet.

Hans Thomann: Vor sechs, sieben Jahren hat sich der Markt geändert, und gerade bei Warengruppen wie Schlagzeug und Gitarre ist es nötig, ein viel größeres Produktportfolio zu haben als früher. Du musst praktisch jede Gitarre in jeder Form, in jeder Farbe und jeder Pickup-Bestückung haben. Der große Vorteil im E-Commerce liegt darin, ein breites Produktportfolio anzubieten, denn wie kannst du deinen Umsatz steigern? Mit mehr Produkten und natürlich mit mehr Kunden. Der Nachteil ist, dass du immer Produkte im Sortiment hast, die sich nicht gut drehen. Wir haben auch Sonderinstrumente wie Bassklarinetten oder achtseitige Gitarren, bei denen du genau weißt, das sind keine Top-Seller.

Backstage PRO: Aber man will sie trotzdem im Lager haben.

Hans Thomann: Wir gönnen uns den Luxus zu sagen, wir wollen auch Instrumente haben, bei denen wir nicht nur den Lagerumschlag und den Profit betrachten, sondern auch sagen: “Hey, das ist cooles Equipment, das bekommst du nicht überall. Vielleicht lässt du es dir auch mal zum Testen schicken.” Natürlich ist die Gitarre die Warengruppe mit der höchsten Rücksendequote.

Hans Thomann führte das Backstage PRO Team über den Thomann-Campus…

Hans Thomann führte das Backstage PRO Team über den Thomann-Campus…

…und erklärte uns die Abläufe in den Logistikhallen

…und erklärte uns die Abläufe in den Logistikhallen, © Fotos: Backstage PRO

Unternehmenswerte bleiben im Loop

Backstage PRO: Wie viel Thomann steckt eigentlich in Thomann? Also welche Familienwerte, die du genannt hast, sind trotz aller Veränderungen bis heute im Markenkern geblieben?

Hans Thomann: Wir haben unsere Werte aufgeschrieben und jeder Mitarbeiter erhält diese in verschiedenen Sprachen: Uns zeichnet aus, dass wir in unserer Branche bleiben und nicht versuchen, fremde Produkte zu verkaufen, nur um mehr Umsatz zu machen. Langfristiges Business ist uns sehr wichtig. Das bedeutet, dass die nächste Generation meiner Neffen und Nichten schon eingebunden ist, und auch die übernächste arbeitet bereits hier.

“Ehrlichkeit, Transparenz und
Berechenbarkeit sind mir sehr wichtig”

Ehrlichkeit, Transparenz und Berechenbarkeit für unsere Mitarbeiter und Kunden sind mir sehr wichtig. Ich habe Fälle, wo Kunden nach zwei Jahren unzufrieden waren und ihr Geld zurückbekommen haben. Langfristiges Denken und faire Behandlung von Kunden und Mitarbeitern sind Kernwerte.

Backstage PRO: Und eure Markenstrategie wird ausschließlich von der Familie bestimmt, oder habt ihr auch schon mal eine Markenberatung mit einer Markenagentur gemacht?

Hans Thomann: Wir haben in der Regel keine Beratungsfirmen hier in der Firma. Wir kennen unsere Produkte und wissen, was unsere Kunden wollen. Natürlich gibt es aufgrund der Größe und Komplexität unser Marketing Communication Team, das von Sebastian Rosinus geleitet wird und das die Marketingaktivitäten von Thomann betreut. Es ist sehr komplex geworden, weil du heute einen 15-Jährigen anders ansprechen musst als jemanden, der 24 oder 40 Jahre alt ist.

Bei Thomann gibt es praktisch alles für den Musikerbedarf…

Bei Thomann gibt es praktisch alles für den Musikerbedarf…

…alleine 80.000 Behälter umfasst das automatische Kleinteile-Lager

…alleine 80.000 Behälter umfasst das automatische Kleinteile-Lager, © Fotos: Backstage PRO

Backstage PRO: Oder jemand, der euch schon seit Jahrzehnten kennt, oder jemand, der euch sagt: „Hört auf mit dem modernen Zeug.“

Hans Thomann: Genau. Und dann beliefern wir Kunden in 120 Ländern, 66% davon sind Export. Das wichtigste Land ist Frankreich, das ganz anders tickt als Dänemark. Oder ein Spanier, der ganz anders tickt als ein Finne.

Immer High voltage, aber gut geerdet

Backstage PRO: Gibt es deshalb in Frankreich ein eigenes Team, das sich ausschließlich um diesen Markt kümmert?

Hans Thomann: Ja, wir haben hier ungefähr 60 Franzosen, aber während der Pandemie konnten sie nicht nach Hause. Daher gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder verlierst du die Mitarbeiter oder du findest eine Lösung, damit sie von zu Hause arbeiten können. Deshalb haben wir Thomann France gegründet und ein Büro in der Nähe von Lyon eingerichtet, wo 22 Mitarbeiter tätig sind. Der Rest arbeitet hier.

Backstage PRO: Aber auch die müssen ja in die Philosophie von Thomann eingewiesen werden und diese Vision in Frankreich leben.

Hans Thomann: Genau. Es fängt beim Produktportfolio an: Welche Produkte führen wir? Hinter welchen Produkten, hinter welchen Marken stehen wir? Und es erstreckt sich bis zur Fachberatung.

Backstage PRO: Diese Breite und Internationalität auf der einen Seite, der Laden auf der anderen Seite, das scheinen 2 gegensätzliche Pole zu sein. Ist Treppendorf die Wurzel, die alles zusammenhält?

“Ich bin hier geboren
und sehr heimatverbunden.”

Hans Thomann: Ich bin hier in Bamberg geboren. Ich bin sehr heimatverbunden und freue mich auch, die Region unterstützen zu können. Unsere rund neun Millionen Euro Gewerbesteuer im Jahr finanzieren drei Kindergärten in Burgebrach und ein Gemeinschaftshaus in einem kleinen Dorf mit 60 Einwohnern. Das ist mir wichtig.

Backstage PRO: Gab es jemals Überlegungen, das Logistikzentrum woanders zu bauen? Als Laie würde ich sagen, dass es relativ weit weg von Autobahnen und wichtigen Verkehrsknotenpunkten liegt.

Hans Thomann: Eine Verlagerung der Logistik war nie ein Thema. Ich wollte immer die Symbiose des Ladens nutzen und unsere Kunden exzellent versorgen.

2017 baute Thomann im Bereich Logistik weiter aus. Über 40.000 qm Lager- und Versandfläche kamen hinzu für eine Versandkapazität von über 3000 Produkten pro Stunde…

2017 baute Thomann im Bereich Logistik weiter aus. Über 40.000 qm Lager- und Versandfläche kamen hinzu für eine Versandkapazität von über 3000 Produkten pro Stunde…

Thomann nutzt eigene Verpackungsvarianten, die automatisch gefaltet und etikettiert werden…

Thomann nutzt eigene Verpackungsvarianten, die automatisch gefaltet und etikettiert werden…

…wodurch Thomann für seine Kunden Pakete schnüren kann, in denen in der Regel alle Einzelbestellungen zu einer Lieferung zusammengefasst werden

…wodurch Thomann für seine Kunden Pakete schnüren kann, in denen in der Regel alle Einzelbestellungen zu einer Lieferung zusammengefasst werden, © Fotos: Backstage PRO

Backstage PRO: Kannst du beschreiben, was diese Symbiose kennzeichnet?

Hans Thomann: Es ist wichtig, dass Laden und Logistik zusammen sind. In den 60er und 70er Jahren kam der Umsatz hauptsächlich aus dem Laden. Irgendwann begann ich mit dem Versand, den ich nicht wie heute aus automatischen Lagern abwickeln konnte, sondern direkt aus dem Laden. Der Versand ist immer größer geworden. Heute profitiert der Laden in Treppendorf von der unglaublichen Produkttiefe und der Verfügbarkeit, da jeder Kunde Zugriff auf die 115.000 online gelisteten Artikel hat, plus 250.000 Artikel an Ersatzteilen. Ohne den Versand würde sich der Laden mit den 90 Mitarbeitern betriebswirtschaftlich sehr schwer tun, da wir nicht dieselbe Produkttiefe anbieten könnten und keinen Zugriff auf das große Lager hätten. Wenn du 200 oder 300 Kilometer fährst, willst du alles ausprobieren und am liebsten gleich mitnehmen.

Backstage PRO: Gab es jemals die Idee, weitere Läden zu eröffnen?

Hans Thomann: Wir haben überlegt, Flagship-Stores in Städten wie Paris oder Barcelona zu eröffnen, aber es scheiterte daran, dass wir täglich eine unglaubliche Produkttiefe benötigen. Wir verschicken täglich bis zu 40.000 Artikel. Ich glaube, der Standort hier ist sehr gut, weil wir in Franken fleißige Leute haben und leichter expandieren können als in Großstädten. Das Problem ist der Transport für Kunden aus weit entfernten Ländern, aber wir haben Partner, die Ware schnell zum nächsten Flughafen bringen.

Die Kunst, auch mal loslassen zu können

Backstage PRO: Wann hast du für dich persönlich gemerkt, dass das Musikhaus Thomann mehr als nur ein Ladengeschäft ist?

Hans Thomann: Ehrlich gesagt, schon sehr früh. Mit zwölf oder dreizehn wollte ich auch außerhalb von Franken verkaufen. Ich war immer am Limit, bediente gleichzeitig Kunden, zwei Telefone, nahm Lieferungen an und machte Reparaturen. Es waren 18-Stunden-Tage. Ich lernte parallel Feingerätemechaniker und Blechblasinstrumentenbauer. Mit 14 habe ich den ersten Mitarbeiter eingestellt, was mein Vater vorher nie wollte. Sonntags war unser wichtigster Verkaufstag. Es war eine extrem harte Zeit. Mit 28 oder 30 brachte mich meine Frau dann mit hohem Blutdruck ins Krankenhaus.

Backstage PRO: Was hast du danach verändert?

Hans Thomann: Ich kam ins Krankenhaus und merkte, dass ich zu viel machte. Ich lernte Atemtechniken und machte Akupunktur. Es fällt mir aber bis heute nicht leicht, Verantwortung abzugeben und meinen Perfektionismus zu bändigen.

Backstage PRO: Loslassen fällt dir also schwer?

“Auch loslassen musst du lernen”

Hans Thomann: Ich muss dir ehrlich sagen, auch loslassen musst du lernen. Für mich begann es vor etwa acht oder neun Jahren, als ich von einer Einzelfirma zu einer GmbH wechselte. Denn es macht einen Unterschied, ob man als Einzelunternehmer oder als Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft agiert, der möglicherweise auch ausgetauscht werden könnte. Ich denke, es ist wichtig loszulassen, damit das Unternehmen weiter wachsen und an die nächste Generation übergehen kann.

Backstage PRO: Du hast mehr Aufgaben an andere delegiert?

Hans Thomann: Um die Verantwortung breiter zu verteilen, habe ich die "C-Level-Struktur" eingeführt. Ich habe Dominic Wagner als CMO und meinen Neffen Markus Neser, der seit 20 Jahren dabei ist, als COO für Verkauf und Service. Zusätzlich gibt es einen CLO für die Logistik. Früher habe ich diese Rollen selbst übernommen. Diese Umstrukturierung umfasst rund 20 neue Positionen, aber sie sichert das Fortbestehen des Unternehmens für die nächsten Jahrzehnte.

Backstage PRO: Es klingt doch so, als hättest du durchaus gelernt, Aufgaben abzugeben und auch mal Dinge laufen zu lassen.

Hans Thomann: Ja, etwas. Ich unterstütze natürlich jederzeit gerne, wenn jemand Rat braucht. Es gibt Bereiche, in denen meine Mitarbeiter besser sind als ich, aber als alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter trage ich immer eine große Verantwortung. Das ist nicht ohne, gerade wenn man bedenkt, dass 17 weitere Unternehmen zu uns gehören. Ich arbeite auch nicht mehr 16 oder 18 Stunden am Tag. Meistens sind es zehn Stunden, was für mich inzwischen ausreichend ist. Ich werde dieses Jahr 62, und man spürt, dass man nicht mehr so belastbar ist wie mit 20. Das muss man akzeptieren.

Hans Thomann boxt gerne und hält alles dafür vor

Hans Thomann boxt gerne und hält alles dafür vor, © Foto: Backstage PRO

Backstage PRO: Wir sind mit dir allerdings gerade durch die Lagerhallen gelaufen und ich hatte Mühe, dir zu folgen. Welche Aktivitäten treibst du zum Ausgleich?

Hans Thomann: Als wir unser Büro in Berlin eröffneten, vor etwa 18 oder 20 Jahren, habe ich immer geboxt, wenn ich in Berlin war. Das hat mir viel Spaß gemacht und meine Ausdauer war damals ausgezeichnet. Wir haben sogar einen Boxring und mehrere große Sporträume hier im Unternehmen, sowie Bereiche für Billard, Darts, Ruhezonen und einen Kickerraum, alles hochwertig gestaltet. Es gibt auch eine große Küche, wo Mitarbeiter zusammen kochen oder Feste feiern können. Heutzutage mache ich von Spaziergängen und Joggen im Wald über EMS- bis hin zum Fitness-Training alles Mögliche.

Inspiriert und eigenständig

Backstage PRO: Viele junge Unternehmer sehen in dir wahrscheinlich ein Vorbild dafür, wie man ein Unternehmen aufbaut und seinen Mitarbeitern Sicherheit bietet. Hattest du jemals ein unternehmerisches Vorbild?

Hans Thomann: Als ich jung war, gab es hier eine sehr starke Tanz- und Live-Musikszene. Das hat mich natürlich beeinflusst. Ich wollte diesen Musikern den „geilen Scheiß“ verkaufen, den sie wollten, wie tolle Gibsons und PAs, was ich dann auch gemacht habe. Ein Vorbild war sicher Günter Zierenberg von Musik Produktiv, den ich auch ein paar Mal besucht habe. Sein Unternehmen mit dem „Handbuch für Musiker“, dem Katalog, und seine eigenen Produktionsstätten für Flightcases waren beeindruckend [mehr zum Kultkatalog, Anm.d.Red.]. Auch Spiecker & Pulch in Ratingen [zur Historie, Anm.d.Red.] waren Vorbilder, bekannt für ihre Importe. In den 70er und 80er Jahren gab es wirklich tolle Typen in dieser Branche.

Titelstories wie im Wirtschaftsmagazin ‚brand eins‘ und zahlreiche weitere Medienberichte belegen, wie viel Wertschätzung Thomann widerfährt

Titelstories wie im Wirtschaftsmagazin ‚brand eins‘ und zahlreiche weitere Medienberichte belegen, wie viel Wertschätzung Thomann widerfährt, © Thomann, Quelle: https://www.thomann.de/de/compinfo_history.html

Backstage PRO: Und in jüngerer Zeit?

Hans Thomann: Ich muss sagen, ab einem gewissen Level konnte ich in unserer Branche nicht mehr viel lernen. Dann sucht man Anregungen aus anderen Bereichen wie Logistik oder Marketing. Natürlich liest man auch Bücher von Leuten wie Steve Jobs, aber im Grunde habe ich mich sehr auf mich selbst und Treppendorf konzentriert und schließlich meinen eigenen Weg gefunden.

Crossroads in Treppendorf

Backstage PRO: Welche Rolle nimmst du heute ein – bist du eher ein Dirigent, der alles orchestriert, oder ein Multi-Instrumentalist, der fachlich tief involviert ist, oder beides?

Hans Thomann: Die Rollen haben sich verschoben. Früher war ich der einzige Verkäufer und bis vor fünf Jahren auch Einkaufs-, Verkaufs- und Personalchef. Mittlerweile tragen auch andere Verantwortung. Aktuell ist es mehr das Dirigieren, aber ich kenne mich in fast allen Abteilungen gut aus – das ist auch mein Anspruch.

Backstage PRO: Man merkt das Zusammenspiel hier, alles greift gut ineinander. Viele Mitarbeiter sind Musiker, trägt das deiner Meinung nach positiv zur Arbeitsatmosphäre bei?

“Viele verbinden hier
ihr Hobby mit ihrem Beruf.”

Hans Thomann: Ja, viele verbinden hier ihr Hobby mit ihrem Beruf, da sie unter Musikern sind. Wir haben einmal im Monat eine Open Stage, wo sie zusammen musizieren. Musiker sind diszipliniert, bleiben dran und hören aufeinander, was im Teamwork sehr nützlich ist. Das funktioniert gut hier. Du könntest in den Büros oder Werkstätten jeden fragen, ich würde sagen, 90% haben viel Spaß und genießen ihre Arbeit. Das ist wichtig, denn mit Freude bei der Arbeit ist alles leichter.

Backstage PRO: Dein Fokus hat sich also im Laufe der Jahre stark von der reinen Kundenorientierung hin zu den Mitarbeitenden verschoben?

Hans Thomann: Ja, wir waren immer sehr kundenfokussiert, aber die Mitarbeiterführung wird ebenfalls immer wichtiger. Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu meinen Mitarbeitern, aber die Herausforderungen haben zugenommen. Vor zehn Jahren hatte ich noch einen Berg von Bewerbungen nur für Gitarristen. Heute suchen wir in allen Warengruppen.

Backstage PRO: Wie begegnet ihr der Herausforderung, Musikerinnen und Musiker für Treppendorf zu gewinnen – angesichts sich wandelnder Vorstellungen von Arbeit?

Hans Thomann: Wir haben fast alle Nationalitäten hier, was die universelle Verbindung durch Musik verdeutlicht. Musik überschreitet sprachliche Grenzen, egal ob Blues oder Klassik. Aber die Rekrutierung ist aufwendiger geworden; wir nutzen verstärkt soziale Medien und veranstalten jährlich einen Ausbildungstag. Es ist herausfordernd, Mitarbeiter mit einer hohen Leidenschaft für Musik zu finden. Viele möchten von zu Hause aus arbeiten. Wir bieten eine 3-Tage-im-Büro-Lösung an, würden aber vorziehen, dass alle täglich hier sind. Unsere Softwareentwicklung thomann.io in Berlin und Erlangen arbeitet komplett remote. Es ist schwieriger, die benötigte Anzahl an Fachkräften zu bekommen, daher sind wir offen für Spezialisten aus aller Welt. Wir bilden junge Leute gut aus, aber in manchen Bereichen, wie z.B. professionelle Audioinstallationen, können wir das Potenzial nicht voll ausschöpfen, weil uns Fachkräfte fehlen.

Gabriele Röder-Thomann, Hans Thomanns Schwester, zeigte uns, was den Mitarbeitenden als Ausgleich zur Arbeit zur Verfügung steht. Videogames sind nur eines der Angebote…

Gabriele Röder-Thomann, Hans Thomanns Schwester, zeigte uns, was den Mitarbeitenden als Ausgleich zur Arbeit zur Verfügung steht. Videogames sind nur eines der Angebote…

… zu denen auch das Kochen gehört. Kickern, Billard, Darts und ein top ausgestattetes Fitnessstudio mit angeleitetem Training zählen ebenfalls dazu

… zu denen auch das Kochen gehört. Kickern, Billard, Darts und ein top ausgestattetes Fitnessstudio mit angeleitetem Training zählen ebenfalls dazu, © Fotos: Backstage PRO

Nachhaltig wachsen

Backstage PRO: Wäre es euer Wunsch, insgesamt noch weiter zu wachsen?

Hans Thomann: Wir bearbeiten jährlich zwischen 6,3 und 6,5 Millionen Kundenaufträge. Mehr wollen wir nicht, da wir die Qualität hochhalten möchten. Unsere Priorität liegt auf Qualität, nicht auf Quantität. Unser nächstes großes Projekt ist die Erweiterung des Ladens, der der größte und schönste der Welt werden soll. Das ist besonders wichtig, da es kaum noch Messen gibt.

Backstage PRO: Braucht es nicht bald auch ein Thomann-Hotel für Besucher?

Hans Thomann: Wir planen tatsächlich ein Boardinghaus mit 20 bis 25 Zimmern, um auch Mitarbeiter aus unserem Büro in Berlin unterzubringen, die hier ein intensives Training erhalten. Es ist uns wichtig, dass wir jedes Land mit Mitarbeitern betreuen, die die Sprache und die Kultur verstehen. Das hilft uns, nah an den Menschen, den Kunden und den Musikern zu sein.

Backstage PRO: Wie siehst du die internationalen Wachstumspotenziale?

Hans Thomann: Keine leichte Frage. Immer wenn ich dachte, E-Commerce sei einfach, erwies es sich aber als schwierig. In Ländern wie Österreich zum Beispiel. Wir begannen in Deutschland und hatten Hot Deals in verschiedenen Währungen. Frankreich war sofort ein Erfolg, während Österreich anfangs kaum Umsatz machte. Erst nach einigen Jahren lief es besser. Die nordischen Länder waren von Anfang an erfolgreich, sogar mit Bussen voller Fans zu unserem Sommerfest aus Finnland. Jedes Land hat seine eigene Geschichte bei uns. Der Low-Cost-Bereich bleibt herausfordernd, vor allem wenn konkurrierende Angebote in einem etwas entfernteren Land wie Spanien schneller und günstiger sind.

Backstage PRO: Gibt es eine Region, in der du noch deutlich ungenutztes Wachstumspotenzial siehst?

Hans Thomann: Die USA sind der größte Musikmarkt und wir sind in New Hartford, Connecticut, mit einem kleinen Lager von Harley Benton präsent. Ein ähnlich große Operation wie in Deutschland wäre notwendig, um dort erfolgreich zu sein, was ein langfristiges Projekt wäre. In den USA könnten wir aufgrund der MAP-Preispolitik auch unseren Wettbewerbsvorteil bei den Preisen nicht voll ausspielen. In den meisten europäischen Ländern sind wir Marktführer oder sehr stark vertreten. Im Vereinigten Königreich waren wir lange Marktführer, das ist jetzt etwas zurückgegangen durch Verzollungsfragen. Aber es bleibt ein wichtiges Musikland. Polen und Italien sind weitere wichtige Märkte für uns.

Der Rhythmus wechselt, das Metrum bleibt

Backstage PRO: Woher kommt dein guter Riecher für die richtigen strategischen Entscheidungen?

Hans Thomann: Allein der Riecher reicht nicht aus. Man muss die Themen aktiv angehen und nicht den Kopf in den Sand stecken. Wir können zwar alle über die Regierung schimpfen und alles Mögliche, aber letztendlich haben wir alles selbst in der Hand. Rahmenbedingungen spielen eine große Rolle. Wenn man sieht, welchen Aufwand wir mit Nachhaltigkeitsberichten, Lieferkettengesetz und Verrechnungspreisdokumentationen betreiben, die zwischen 80 und 120 Seiten liegen, und es ist kein Ende in Sicht.

Backstage PRO: Wo hat das Gespür allein nicht gereicht – was waren die größten Herausforderungen bisher?

Hans Thomann: Eine große Belastung war 2018, als wir das Logistikzentrum Nord mit einem automatischen Shuttle-Lager und einer automatischen Verpackungsstrecke gebaut haben. Die vorherige Logistik musste komplett mit einer neuen Software ausgestattet werden. Es hieß, das wäre in zwei bis drei Stunden erledigt, doch wir konnten fast sechs Wochen keine Sendungen verschicken, besonders weil der Anspruch besteht, einzelne Produkte immer zu einer Versandpackung zusammenzuführen. Das war eine extrem harte Zeit, in der verschiedene Teams rund um die Uhr gearbeitet haben, um wieder ins normale Geschäft zurückzukommen, denn im E-Commerce ist der Anspruch: heute bestellen, morgen anliefern.

“Im E-Commerce ist der Anspruch:
heute bestellen, morgen liefern”

Besonders spürt man das bei Feiertagen. Zum Beispiel haben wir im Mai vier Feiertage, oder über Ostern und Weihnachten hängt man mit 60.000 - 70.000 Kundenaufträgen schnell zwei Tage hinterher. Das war wirklich eine harte Nummer. Oder 2016, als wir keine Gitarren von Gibson oder Taylor mehr hatten – das war auch nicht einfach.

Recap: Corona und Musikhandel

Backstage PRO: Und die Corona-Phase hat euch vermutlich auch gefordert.

Hans Thomann: Corona war natürlich auch für uns neu. Wir haben unseren Laden schon am Freitag geschlossen, bevor die gesetzliche Anordnung kam. Wir haben ein Krisenteam aufgestellt und den Mitarbeitern direkt gesagt, dass niemand in Kurzarbeit gehen muss. Wir waren uns unsicher, wie lange die Situation anhalten würde. Im Veranstaltungsbereich brach das Geschäft um bis zu 90% ein. Wir haben große PA-Verleih-Kunden in diesem Bereich, wie D&B und L-Acoustics, und wir haben ihre Ware zunächst eingelagert, weil wir wussten, dass sie keine Einnahmen generieren konnten. Wir haben keine Bestellungen bei unseren Lieferanten storniert, was zu Überhängen führte. Wir mussten drei zusätzliche Außenlager anmieten. In der ersten Phase waren Produkte wie USB-Interfaces und USB-Mikrofone schnell ausverkauft, da alle online gehen wollten – Hochschulen, Privatleute, Musikschulen. Dann mussten wir schnell handeln, um Ware per Luftfracht zu beschaffen. In späteren Phasen waren es dann Artikel wie Handpans, elektronische Drums und Digitalpianos, die drei bis viermal so oft verkauft wurden wie üblich. Unsere Disponenten bestellten basierend auf diesen Verkaufszahlen massenhaft Ware. Wir hatten irgendwann über eine Viertelmillion USB-Mikrofone auf Lager und 40.000 Home-Digitalpianos. Heute haben wir noch Lagerbestände, die für ein Jahr reichen könnten.

Backstage PRO: Also, Überbleibsel von Corona.

Hans Thomann: Ja, aber man könnte sagen, wir sind insgesamt gut durchgekommen, trotz deutlicher Herausforderungen. Es ist insgesamt bedauerlich, ich kenne beispielsweise Musiker, die Fördergelder zurückzahlen mussten, die sie angespart hatten. Jetzt sehen wir auch, dass einige Lieferanten oder Dienstleister in Insolvenz geraten, teilweise weil sie Förderungen zurückzahlen müssen und das Insolvenzrecht während der Pandemie gelockert wurde, sodass man nicht sofort Insolvenz anmelden musste. Ich denke, da kommt noch einiges auf uns zu.

Medien für Millionen

Backstage PRO: War die Erweiterung der Thomann-Welt um Medienkooperationen, eigene Plattformen und YouTube-Kanäle auch eine Strategie, um unternehmerischen Herausforderungen zu begegnen?

Hans Thomann: Ja, unsere Kernkompetenzen in Beratung, Verkauf und Reparatur von Musikinstrumenten haben sich erweitert, unter anderem um exzellente Logistik und IT. Sven Schoderböck, mein ehemaliger VP eCommerce, sagte oft, wir seien eher ein IT-Unternehmen als ein Musikalienhändler. Ein Schlüsselmoment war unsere frühe Präsenz im Internet, was ich auch Sven zu verdanken habe, der seiner Zeit immer voraus war. Uns wurde klar, dass Menschen ihre Informationen jederzeit aus dem Internet beziehen werden. Wir wandten uns an die wichtigsten Magazine und boten Kooperationen an, wollten ihre Testberichte verwenden, aber sie lehnten ab, weil ihr Geschäftsmodell auf dem Verkauf von Werbeseiten basierte. Daraufhin gründeten wir Remise 3 mit Hansi Tietgen in Dortmund und kauften amazona.de. Es entstanden weitere Content-Seiten, zuletzt zwei neue in Italien und vor einigen Jahren kam fr.audiofanzine.com in Frankreich dazu. Unser Ziel ist es, den Musikern kostenlosen Content zu bieten, sei es in Form von Tipps, wie man besser singt oder Schlagzeug spielt, oder durch unabhängige Produkttests und Berichte. Anfangs, als wir Remise 3 und bonedo.de starteten und amazona übernahmen, gab es kaum Werbeeinnahmen, da die Industrie unsere teils kritischen Testberichte skeptisch sah. Diese Berichte wurden von unabhängigen Musikern verfasst und das Urteil fiel nicht immer zur Freude unserer Lieferanten aus. Trotzdem standen wir dahinter und hatten die Kraft, diese Plattformen ohne industrielle Unterstützung aufzubauen.

Beste Bedingungen, um guten Content zu erstellen: Ein ganzer Gebäudekomplex mit insgesamt drei voll ausgestatteten Video-Studios steht für die Produktion von Videos und anderen Webinhalten zur Verfügung…

Beste Bedingungen, um guten Content zu erstellen: Ein ganzer Gebäudekomplex mit insgesamt drei voll ausgestatteten Video-Studios steht für die Produktion von Videos und anderen Webinhalten zur Verfügung…

…was uns Gabriele Röder-Thomann zeigte, erklärte…

…was uns Gabriele Röder-Thomann zeigte, erklärte…

… und Einblick hinter die Kulissen der

… und Einblick hinter die Kulissen der "Thollywood Studios" gewährte. Hier einer der Regieräume, © Fotos: Backstage PRO

Do It Yourself

Backstage PRO: Auch die Eigenmarken werden kontinuierlich ausgebaut. Wie hat das angefangen?

Hans Thomann: Ich habe die Eigenmarken vor 30 Jahren eingeführt, damals mit den ersten Flight Cases. Es war mir wichtig, dass zum Beispiel jemand, der eine Korg CX-3 besitzt, ein passendes Case dafür bekommt. Früh habe ich mich auch gefragt, warum zum Beispiel eine DI-Box – die Alphaton waren relativ gut und übrigens auch ihr Geld wert – damals 180 bis 200 Mark kosten musste. Das war auch eines der ersten Eigenprodukte. Ziel war es, für Musiker, die nicht so viel Geld hatten und nicht in Top-40-Bands spielten, preisgünstige Produkte zu entwickeln. Ich war sehr früh in Japan, Taiwan und später in China, um Eigenprodukte zu entwickeln. Plötzlich gab es zum Beispiel einen soliden Beckenständer für 39 Mark statt 139 Mark. Die Idee war, wenn eine Gitarre 90 Dollar in der Produktion kostet, sie hier für 159 oder 179 Euro zu verkaufen und nicht für 298 Euro, wie es durch viele Zwischenhändler der Fall wäre. Unsere Marge ist dabei sehr zufriedenstellend, inklusive Mehrwertsteuer. Eigenmarken machen auch gut 20% unseres Umsatzes aus.

“Wir sind stolz auf unsere Eigenmarken”

Backstage PRO: Uns ist aufgefallen, dass eure Eigenmarken sehr eigenständig sind. Da steht nicht groß „Harley-Benton, eine Marke von Thomann“ drüber, sondern sie sind einfach unter ihrem Namen bekannt.

Hans Thomann: Das war auch ein Lernprozess. An Heiligabend vor 30 Jahren entstand die Marke „Stairville”. Der Name war eine Schnapsidee beim Feiern – Treppendorf auf Englisch. Später fand ich, dass er für Gitarren nicht passt. Wir kamen dann auf Harley Benton, inspiriert von Rock'n'Roll und Motorrädern, und bis heute entstanden über 30 weitere Marken. Wir sind stolz darauf, aber betonen nicht zwingend, dass es Thomann-Marken sind.

Eine Struktur, die bleibt

Backstage PRO: Gab es Zeiten, in denen du signifikante Änderungen in deinem Ansatz zur Unternehmensführung vorgenommen hast?

Hans Thomann: Durchaus. Meine Frau Gabriele und ich sind jetzt 40 Jahre verheiratet, aber wir blieben kinderlos. Das brachte mich dazu, früh über die Nachfolge nachzudenken, schon als ich etwa 40 oder 45 Jahre alt war. Ich sehe es als meine Aufgabe, das Unternehmen gut für die nächste Generation vorzubereiten. Deshalb habe ich eine gemeinnützige Stiftung gegründet. Eigentlich sollte sie nicht nur Musikern helfen, sondern auch sicherstellen, dass die Thomann GmbH und ihre 17 Tochtergesellschaften in die Stiftung übergehen, falls mir etwas zustößt. Ich war überzeugt, das war der beste Weg. Aber nach ein paar Jahren habe ich das durchgespielt und ein Sterbeseminar besucht: „Was, wenn ich morgen sterbe?“

“Ich habe ein Sterbeseminar besucht”

Da wurde mir klar, dass das nicht funktionieren würde. Mein Stiftungsvorstand, darunter Leute wie Martin Hofmann von den Berliner Philharmonikern und der Reamonn-Gitarrist Uwe Bossert, arbeitet ehrenamtlich. Sie können die Firma so nicht leiten. Also habe ich mit meinen Banken und später Beratungsfirmen nach Lösungen gesucht. Die meisten rieten zu einer Doppelstiftung, damit die Firma in Familienhand bleibt und nicht verkauft wird. Viele Firmen verlieren ihre Seele durch Investoren – sind nur noch auf Profit aus. Das will ich vermeiden. Mir ist wichtig, dass unsere Mitarbeiter Freude an ihrer Arbeit haben und die Kunden optimal bedient werden, und dass wir ein gutes Management haben, das auch einen Bezug zur Branche hat. Selbst mein Logistikchef übt täglich Gitarre.

Backstage PRO: Kannst du kurz umreißen, wie das Prinzip der Doppelstiftung funktioniert?

Hans Thomann: Es gibt die Familienstiftung und die gemeinnützige Stiftung. Die gemeinnützige Stiftung, die ich vor elf Jahren gegründet habe, fokussiert sich auf das Thema Musik. Wir haben über 100 Deutschlandstipendien an Musikhochschulen in Berlin, Leipzig, Hamburg, Würzburg, Mannheim und Nürnberg vergeben. Zudem unterstützen wir viele Kindergärten und nachhaltige Projekte. Die neue Stiftung, die dieses Jahr noch entsteht, wird breiter aufgestellt sein und kann Bildung, Integration und ähnliche Themen umfassen. Was mir sehr wichtig ist: Meine Mitarbeiter sind beteiligt. Wenn etwa das Kind eines Mitarbeiters in der Logistik erkrankt, hilft die Stiftung. So behalte ich auch über die Stiftung einen direkten Bezug zu meinen Mitarbeitern. Die Satzung umfasst etwa 65 Seiten, die alle Eventualitäten abdecken.

Backstage PRO: Und mit dieser Stiftung verhindert man sozusagen die Heuschrecken und bewahrt die Thomann-DNA?

Hans Thomann: Genau, das ist ein Schutzschild. In der Satzung steht festgeschrieben, dass die Firma nicht verkauft werden darf. Wenn ich nicht mehr da bin, muss der aus drei bis fünf Personen bestehende Vorstand einstimmig zustimmen.

Backstage PRO: Zustimmen zu einer möglichen Auflösung der Stiftung?

Hans Thomann: Richtig, eine Auflösung ist nicht so einfach möglich. Ich bin auch nicht der Typ, der materiell ausgelegt ist. Ich fahre einen normalen Vierer BMW, mein einziges Auto, und die Gewinne bleiben in der Firma.

Investitionen in die Zukunft

Backstage PRO: Das ist ja diese auch schon oft thematisierte Bodenständigkeit, die man bei dir oder auch vom Unternehmen so wertschätzt.

Hans Thomann: Es ist wichtig, dass die Gewinne in der Firma bleiben, damit man für schlechte Zeiten einen Puffer hat. Ich habe noch nie staatliche Förderungen oder Hilfen in Anspruch genommen. Das erlaubt es uns auch, weiterhin zu investieren, denn die Herausforderungen sind enorm.

Gabriele Röder-Thomann im Laden, der bis 2026 von 5200 m² auf über 10.000 m² Ausstellungs-, Verkaufs- und Lagerfläche wachsen wird

Gabriele Röder-Thomann im Laden, der bis 2026 von 5200 m² auf über 10.000 m² Ausstellungs-, Verkaufs- und Lagerfläche wachsen wird, © Foto: Backstage PRO

Backstage PRO: An welche Herausforderungen denkst du dabei konkret?

Hans Thomann: Wenn man genauer hinschaut, versteht man, warum so viele Geschäfte in unserer Branche schließen. Es ist ein komplexes Thema. Einerseits haben die Verbraucher heute höhere Ansprüche an Produkte und Qualität, weil das verfügbare Einkommen nicht gestiegen ist und es mehr Auswahl gibt als früher. Die Kunden machen keine Kompromisse mehr wie in den 70er Jahren. Wenn jemand eine schwarze, preiswerte Stratocaster will, dann kauft er keine in Rot oder Sunburst, sondern genau die gewünschte Gitarre. Andererseits erhöhen unsere Lieferanten stetig ihre Anforderungen. Kleinere Gitarrengeschäfte, die bestimmte Marken wie Gibson nicht führen können, weil sie die Vorgaben nicht erfüllen, stehen schnell vor einem Problem. Dies betrifft auch andere große Marken wie Fender, die zunehmend versuchen, ihre Produkte direkt an Endkunden zu verkaufen, z.B. über Plattformen wie Fender.com. Das verringert die Umsätze der Händler. Hinzu kommt der immense Aufwand, der in Technologie, Webseitenentwicklung, Data Warehousing und Sicherheit investiert werden muss. Auch Portale wie Temu, die extrem preiswerte Produkte direkt aus China anbieten, verstärken den Wettbewerbsdruck. Darüber hinaus stehen wir vor Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt. In den nächsten Jahren gehen Millionen in Rente, während deutlich weniger junge Leute nachrücken. Unsere jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben auch eine andere Vorstellung von der Arbeit und von dem, was ihnen Spaß macht. Auch das Marketing ist aufwendiger geworden, insbesondere die kulturspezifische Ansprache verschiedener Altersgruppen. All diese Faktoren erschweren das Geschäft und bei vielen Händlern fehlt zudem eine klare Nachfolgeregelung.

Backstage PRO: Welche Schwerpunkte setzt ihr für die nächsten Jahre?

Hans Thomann: Wir setzen schon seit einigen Jahren auf künstliche Intelligenz. Das bedeutet nicht, dass wir Leute entlassen, sondern dass wir diese Tools als Hilfsmittel nutzen, von Bildfreistellungen bis hin zu Übersetzungen. Wir haben sechs oder sieben Leute, die nur übersetzen, weil unser Anspruch ist, mit Muttersprachlern zu arbeiten und nicht nur automatisierte Übersetzungen zu verwenden. Es ist wichtig, Technologien nicht zu verschlafen.

Der Wert der Musik

Backstage PRO: Du hast vorhin die Live-Band-Kultur der 70er und 80er Jahre als wichtige Triebfeder genannt. Mit Backstage PRO engagieren wir uns sehr für die Live-Kultur, bieten Bands die Möglichkeit, Gigs zu finden, ihre Veranstaltungen zu promoten und sich gegenseitig auf die Bühne zu holen. Wie wichtig ist dir die Live-Kultur heute noch, nicht nur als Unternehmer, sondern auch privat?

Hans Thomann: Erst einmal ein großes Lob an euch von Backstage PRO für eure Unterstützung der Live-Kultur. Ich finde es sehr wichtig, dass es Unternehmen wie euch gibt. Wer ein Instrument lernt, möchte früher oder später auftreten, sei es in der Schule oder auf größeren Bühnen, und vielleicht sogar eigene Songs schreiben. Live zu spielen, ist eine enorme Motivation.

“Ich finde, Musik wird heutzutage
viel zu wenig wertgeschätzt.”

Persönlich gehe ich mit meiner Frau gerne auf verschiedene Konzerte. Letztes Wochenende waren wir beispielsweise bei Bonamassa in Wien. Doch ich finde, Musik wird heutzutage viel zu wenig wertgeschätzt. In Bamberg, wo ich lebe, spielen hochqualifizierte Musiker auf den Straßen, die jahrelang ihr Handwerk studiert haben, und dennoch nehmen sich nur wenige die Zeit, ihnen zuzuhören oder sie angemessen zu würdigen. Meistens landen bestenfalls ein paar Euro im Hut.

Backstage PRO: Die Wertschätzung für live gespielte Musik hat deiner Meinung nach also dramatisch abgenommen?

Hans Thomann: Ja, absolut. Jetzt kommen auch Technologien wie künstliche Intelligenz hinzu, die das Komponieren von Musik beeinflussen. Es gibt Apps, die Musik in gewünschten Stilen erzeugen können. Ich kenne viele Musiker, die für einen Filmsong gerade mal 2.000 Euro bekommen, ein Betrag, der schon fast lächerlich niedrig ist. Und wenn diese Einkommensquelle auch noch wegfällt, finde ich das sehr hart. Hinzu kommt, dass die musikalische Bildung in Deutschland immer mehr vernachlässigt wird. Im Kindergarten wird kaum noch gesungen oder musiziert.

Backstage PRO: Deine Stiftung versucht, dieses Vakuum ein wenig zu füllen und Unterstützung zu bieten, richtig?

Hans Thomann: Ja, aber das ist einfach nicht genug. Mein Ziel war es immer, Musik im Kindergarten und pädagogische Ausbildung zu fördern, aber ich habe gemerkt, dass das allein nicht ausreicht. Stell dir vor, es wird irgendwann keine Musik mehr gemacht! Musik hilft doch in allen Lebenslagen.

Besonders heiße Deals zum Siebzigsten

Backstage PRO: Im Hinblick auf das Jubiläum: Was waren die bisherigen Highlights und auf was können sich die Kundinnen und Kunden in diesem Jahr noch freuen?

Hans Thomann: Bei früheren Jubiläen, wie dem 50., hatten wir große Acts wie die Scorpions hier. Zum 60. Jubiläum hatten wir eine große Feier. Dieses Jahr konzentrieren wir uns auf gute Angebote und Deals, die seit Anfang des Jahres laufen. Zum Beispiel hatten wir erfolgreich Produkte mit Überproduktion zu sehr guten Preisen angeboten. Nach 70 Jahren glauben wir, dass wir uns und unseren Kunden etwas Gutes tun können. Da geben wir gerne etwas vom Erfolg zurück.

Backstage PRO: Also lohnt es sich, regelmäßig auf thomann.de zu schauen?

Hans Thomann: Ja, definitiv. Wir starten jeden Monat mit neuen Produkten, die wir zu besonders guten Preisen anbieten.

Backstage PRO: Sind Deals und Preisgestaltung also immer noch ein wichtiges Thema für Thomann?

Hans Thomann: Absolut, mehr denn je. In den letzten Jahren war die Verfügbarkeit wichtiger, aber jetzt, mit der hohen Inflation und Marktsättigung in einigen Bereichen, spielt der Preis eine größere Rolle. Unser Ziel bleibt, Premium-Produkte auszubauen und in jeder Warengruppe mindestens so gut oder besser als der beste Spezialladen in Europa zu sein.

Backstage PRO: Vielen Dank, Hans. Wir wünschen euch noch viele heiße Deals und ein tolles Jubiläumsjahr!

Hans Thomann: Ich danke euch für euren Besuch! Wir schätzen eure Arbeit sehr. Hat Spaß mit euch gemacht!

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