Kein Platz für Aluhüte
Hamburger Veranstalter und Kulturschaffende wollen Docks und Grosse Freiheit 36 boykottieren
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Impressionen Reeperbahn Festival (Hamburg, 2019). © Falk Simon
In einem offenen Brief auf der Facebook-Seite von FKP Scorpio, einem der größten deutschen Konzertveranstalter mit Sitz in Hamburg, kritisieren diese Veranstalter die Hamburger Spielstätten Docks und Grosse Freiheit 36 für das "gefährliche und demokratiefeindliche Gedankengut", dem die Locations seit mehreren Monaten ein Forum böten:
Deutliche Worte
Die Formulierungen des Briefes sind dabei ungewöhnlich direkt. So heißt es weiter, die Docks und die Grosse Freiheit würfen ein schlechtes Licht auf die Veranstaltenden und Musikschaffenden und nicht zuletzt auf die Künstlerinnen und Künstler, indem sie Falschinformationen zur Corona-Pandemie verbreiteten:
"Viele Artists aus dem In- und Ausland haben uns bereits auf die Situation angesprochen und sind nicht länger bereit, auf euren Bühnen Musik zu machen – dasselbe trifft natürlich auch auf unsere eigenen Mitarbeiter*innen und Tourneepartner*innen zu."
Diese Weigerung sei so verständlich wie schädlich für Docks und Grosse Freiheit, da die Unterzeichnenden – neben FKP Scorpio u.a. die Karsten Jahnke Konzertdirektion, Inferno Events (verantwortlich für das Reeperbahn Festival), Neuland Concerts, a.s.s. concerts, Semmel-Concerts und Kingstar Music – für weit über 90 Prozent des Programms der genannten Venues verantwortlich seien.
Doch das Verhalten der beiden Spielstätten sei derart inakzeptabel, dass Veranstaltungen für die Unterzeichenden eben nicht mehr in Frage kämen. Dabei seien die Verantwortlichen bereit, den daraus entstehenden Schaden für alle Gäste und den Kulturstandort der weltoffenen Stadt Hamburg dafür in Kauf zu nehmen.
Alternative Wandzeitung
Der Ursprung für diese drastischen Worte national agierender Unternehmen liegt in einer Wandzeitung, mit der das Docks im Sommer 2020 auf die Corona-Pandemie und die staatlichen Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung reagiert hatte. Auf der Plakatwand konnten Privatpersonen ihre "Alternativen Meinungen" zur Corona-Pandemie für eine Spende in Höhe von 20 Euro für vier Wochen einrahmen lassen:
© Screenshot (Facebook)
Das Docks-Team um Chefin Susanne Leonhard begrüßte in obigem, inzwischen scheinbar gelöschten Facebook-Post explizit Statements und Poster mit Informationen, die von den "Mainstream Medien" und deren "einseitiger Berichterstattung" angeblich ignoriert würden.
Heftige Diskussionen
Nicht zuletzt aufgrund der Wortwahl dieses Facebook-Posts wurde das Docks-Team laut der Hamburger Morgenpost heftig kritisiert: "Alternative Meinungen" und "Mainstream Medien" sind beides stark aufgeladene Schlagworte, die insbesondere in neurechten Kreisen Konjunktur haben und kaum noch ohne negativen Beigeschmack verwendet werden können (bzw. sollten).
Die im Rahmen der Wandzeitung veröffentlichten Meinungen stammten dementsprechend dann auch häufig aus dem verschwörungstheoretischen Umfeld der Corona-Leugner/innen – die nicht zuletzt auf den "Querdenker"-Demos der letzten Monate gezeigt haben, dass sie die Assoziation mit rechten Demonstrierenden wenn schon nicht suchen, dann zumindest erschreckend kritiklos in Kauf nehmen.
So erklärt sich denn auch der über ein halbes Jahr später von FKP Scorpio und weiteren vorgebrachte Vorwurf gegenüber dem Docks-Team, dieses würde "anscheinend den Schulterschluss mit Schwurblern, Verschwörern und jenen suchen, die keinen Widerspruch darin sehen, neben Nazis für Demokratie zu demonstrieren."
Zwiespältige Einsicht
Gut eine Woche, nachdem das Docks-Team die kontroverse Wandzeitung via Facebook-Post ankündigte, reagierte die Geschäftsführerin Susanne Leonhard mit einem persönlichen Statement auf die zahlreichen kritischen Stimmen.
Mit den im Post verwendeten Schlagworten "Mainstream Medien" und "Alternative Meinungen" seien falsche Signale gesendet worden. Die Kombination dieser beiden Begriffe sei unglücklich gewählt gewesen und habe den eigentlichen Zweck der Wandzeitung überschattet:
© Screenshot (Facebook)
Gleichzeitig beharrte Leonhard jedoch darauf, dass die veröffentlichten Texte sorgsam ausgewählt und auf rechte Inhalte und Verschwörungstheorien überprüft worden wären. Solchen Inhalten wolle man keine Plattform bieten und davon distanziere sich das Docks-Teams auch:
"Kritische Meinungen zur Corona-Krise sind in den Medien zwar vertreten, aber unserer Ansicht nach sind sie für eine demokratische Diskussion im Ungleichgewicht. Wir möchten im Rahmen unserer Möglichkeiten kritischen Stimmen Gehör verleihen. Die Wandzeitung möchte nicht behaupten die Wahrheit zu kennen. Wir wollen zum Nachdenken anregen."
Das Clubkombinat wird aktiv
Das Hamburger Clubkombinat e.V. distanzierte sich in einer Pressemitteilung vom 18. Juni 2020 von Susanne Leonhards Äußerungen. Die inhaltliche Aussage und das gewählte Vokabular seien populistischer Natur und werden von den rechten Rändern unserer Gesellschaft in Beschlag genommen. Dies sei mit den Werten und der Arbeit des Verbandes nicht vereinbar.
Als Reaktion auf die Vorfälle wurde Leonhard mit sofortiger Wirkung von dem bisher von ihr bekleideten Amt des Vorstandsvorsitzes im Clubkombinat e.V entbunden: Leonhards Äußerungen in ihrer repräsentativen Position als Vorsitzende stünden in direktem Kontrast zu der Position des Clubkombinats, das sich inhaltlich gegen "jegliche Formen von Populismus, Rassismus und Diskriminierung" stelle.
Unerwartete Unterstützung
Gleichzeitig erhielten die Docks inmitten dieses "Shitstorms" auch Unterstützung von der gleichsam in Hamburg ansässigen und in dem Post von FKP Scorpio ebenfalls explizit adressierten Location Grosse Freiheit 36.
In einem Gastbeitrag der "Freiheit"-Geschäftsführerin Mitja Boettger-Soller im Hamburger Stadtmagazin Oxmox verkündete diese, aus Solidarität und "demokratischen Gründen" eine Wandzeitung nach dem Vorbild der Docks im Eingangsbereich der Freiheit aushängen zu wollen. Weiter hieß es:
"Wer unsere Kollegen vom DOCKS kennt, weiß, dass sie genauso tolerant, genauso bunt und offen sind, wie wir von der Grossen Freiheit 36 – und in keiner Weise irgendwelche rechten und Aluhut tragenden Verschwörungstheoretiker!"
Vielmehr zeige die Empörung, dass es aktuell in der Öffentlichkeit nicht mehr möglich sei, "eine konstruktive Debatte über richtig und falsch zu führen" – verdeutlicht auch durch die Entscheidung des Clubkombinats, das mit der Freistellung Leonhards dem "diskriminierenden Internet-Mob" gefolgt sei.
Fortsetzung folgt
Nach den Ereignissen im Jahr 2020 machte das Docks 2021 erneut mit seiner Wandzeitung von sich reden – und sorgte nicht zuletzt für Zweifel an der Aussage Susanne Leonhards, dass die veröffentlichten Texte auf rechte und verschwörungstheoretische Inhalte überprüft würden.
Wie die Morgenpost berichtet, wurde im März 2021 ein Plakat mit dem Titel "Bewaffnet euch mit Wissen" aufgehängt, das letztlich auch den Stein des Anstoßes für die Stellungnahme von FKP Scorpio und Co. bedeutete.
Neben dem von den Unterzeichnenden des offenen Briefes zurecht kritisierten "indirekten Aufruf zur Gewalt" lassen sich auch die darunter aufgezählten Quellen dieses vermeintlichen Wissens kaum noch als Ressourcen für vom Mainstream unfairerweise marginalisierte Meinungen bezeichnen.
So zählte das Plakat u.a. den Blog von Boris Reitschuster auf, der vom Handelsblatt als "rechtskonservativ" und der bayerischen Staatszeitung als "umstrittene rechte Online-Plattform" bezeichnet wurde, die je nach Sichtweise Kritik am Umgang der Bundesregierung mit der Pandemie übe oder aber "Corona-Verharmlosern eine Plattform gibt."
Auch Ken Jebsens Website KenFM wurde auf dem Plakat an der Docks-Front als Quelle des "alternativen Wissens" bezeichnet. Erst kürzlich wurde dessen YouTube-Kanal wegen der Verbreitung haltloser Corona-Verschwörungsmythen gelöscht; davor wurden diesem u.a. Antisemitismus und Holocaust-Leugnung vorgeworfen.
Angemessen drastisch
Gerade im Hinblick auf die Verweise auf bekannte rechte Verschwörungstheoretiker ist die drastische Wortwahl der Hamburger Kultur- und Livebranche kaum verwunderlich. Und insofern, als Docks und Freiheit schon seit mehr als einem halben Jahr in der Kritik stehen, überrascht auch die Aussage des offenen Briefes nicht, die Entfernung des jüngsten Plakats sei wohl nur aufgrund des öffentlichen Drucks geschehen.
Die Unterzeichnenden fordern die Teams der beiden Spielstätten in ihrem Brief dazu auf, Position zu bekennen, und eben nicht nur aufgrund äußerer Faktoren zu handeln: Die Wände sollen umgehend abgebaut werden, heißt es hier – und weiter:
"Eure persönliche Meinungsäußerungen sollen künftig klar erkennbar als solche dargestellt werden, anstatt wie bisher aus der Deckung des Gesamtkonstrukts eurer Spielstätten zu agieren. Am entstandenen Schaden und unserer konsequenten Ablehnung dieses Gedankenguts ändert das nichts."
Der Brief schließt mit der Aufforderung an die betreffenden Venues, eine Stellungnahme zu veröffentlichen. Diese soll nicht nur die Vorkommnisse erklären, sondern vor allem auch eine Lösung anbieten, die mehr ist als nur ein Lippenbekenntnis.
Locations
Grosse Freiheit 36
Grosse Freiheit 36, 20359 Hamburg
Docks
Spielbudenplatz 19, 20359 Hamburg
Reeperbahn Festival
Reeperbahn, 20359 Hamburg
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