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Trendwende oder Einbildung?

Hat die Krise der Live-Branche jetzt auch Arena-Tourneen erfasst?

von Daniel Nagel
veröffentlicht am 21.06.2024

liveszene musikbusiness

Hat die Krise der Live-Branche jetzt auch Arena-Tourneen erfasst?

© Teddy Yang via pexels.com

Aus den USA dringen Nachrichten über abgesagte Tourneen und sinkende Nachfrage nach Arena-Tourneen nach Deutschland. Stimmen diese Berichte? Sind Arena-Tourneen wirklich in der Krise? Und wie passt das mit Meldungen über Rekordverkäufe und Rekordgewinne im Live-Business zusammen?

Es ging los mit The Black Keys. Das Blues-Rock Duo wollte eigentlich im Herbst 2024 auf große Arena Tour durch die USA gehen. Sie sagten diese jedoch aufgrund schlechter Kartenverkäufe komplett ab und trennten sich von ihren Managern Irving Azoff und Steve Moir.

Flop beim Ticketverkauf

Patrick Carney, der gemeinsam mit Dan Auerbach die Band bildet, äußerte sich auf X (vormals Twitter) mit den Worten: "We got fucked", die er ohne nähere Erläuterung auf das gefeuerte Management bezog, das möglicherweise eine zu ambitionierte Tour geplant hatte.

Berichte aus US-Medien greifen den Fall auf und verweisen auf weitere Arena-Tourneen, die sich schlechter verkaufen als erhofft – und teilweise gar nicht stattfinden. Nur in einem Fall ist die Ursache eindeutig, und zwar eben bei The Black Keys. Die Band hat tatsächlich viel zu wenige Tickets verkauft.

Über die Gründe kann man in diesem Fall herzhaft spekulieren. Die Hitalben der Band, "Brothers" und "El Camino", erschienen 2010 und 2011. Seitdem hat die Band vornehmlich mittelmäßige Werke veröffentlicht, die mit einem Verlust an Popularität einhergingen. Es ist gut möglich, dass ihre Arena-Tour schlichtweg eine Nummer zu groß angelegt war.

Ambivalente Ursachen

Wie ambivalent die Gründe für eine Tourabsage sein können, zeigt der Fall von Sängerin und Schauspielerin Jennifer Lopez, die ihre für August geplante Arena-Tour vollständig absagte. Die offizielle Begründung lautet, dass J. Lo. sich eine Auszeit nehme, "um mit ihren Kindern, ihrer Familie und engen Freunden zusammen zu sein". 

Gleichzeitig kursieren Gerüchte, dass ihre Ehe mit Ben Affleck vor dem Aus stehen soll. Der Ehemann fehlt ja bemerkenswerterweise in der Aufzählung der Menschen, mit denen sie zusammen sein will.

Warum spielt das eine Rolle? Die meisten US-Medien vermuten, dass die Tour von Jennifer Lopez wegen schwacher Ticketverkäufe abgesagt wurde. Laut anderen Quellen, die der Sängerin näher stehen, führten persönliche Gründe zur Tourabsage

Fest steht, dass J. Lo. vor der endgültigen Absage sieben Einzelkonzerte gestrichen hatte. In anderen Städten kamen aber Zusatzshows hinzu, bevor schließlich die ganze Tour abgesagt wurde. Wer will auf Basis dieser widersprüchlichen Entwicklungen eine definitive Aussage treffen? Vielleicht kamen schlichtweg mehrere Faktoren zusammen?

Steigende Ticketverkäufe insgesamt

Es ist viel einfacher, Sicherheit über die Gründe einer Tourabsage vorzugaukeln. Aus sehr unterschiedlichen Einzelfällen ein Gesamtbild für die Live-Branche abzuleiten und über generelle Probleme beim Verkauf von Karten für Arena-Tourneen zu spekulieren, ist aber nicht überzeugend.

Der größte US-Tourneeveranstalter Live Nation verweist in seinen Quartalsberichten auf wachsende Nachfrage für Konzerttickets und fährt reihenweise Rekordgewinne ein. Da die Marktmacht von Live Nation in den USA so groß ist, kann man eindeutig sagen, dass die Gewinne des Konzerns nicht so hoch ausfallen würden, wenn sich Arena-Tourneen allgemein schlecht verkaufen würden. 

Live Nation erklärte dann auch in einem Statement, dass das Unternehmen in Hinblick auf Konzerttickets eine steigende Nachfrage im Vergleich zu 2023 verzeichne. Live Nation erklärt zudem, dass jedes Jahr manche Tourneen aus unterschiedlichen Gründen nicht die Erwartungen erfüllten.

Zweifelhafte Flops

Dass Berichte über einen generellen Abwärtstrend bei Arena-Tourneen fragwürdig sind, zeigen andere Beispiele aus einschlägigen Artikeln. So muss Sänger Justin Timberlake u.a. in einem Stereogum-Artikel als Beispiel für schlechte Kartenverkäufe herhalten. 

Deutsche Fans dürften sich verwundert die Augen reiben, da die Deutschlandkonzerte des US-Amerikaners – abgesehen von VIP-Tickets – allesamt restlos ausverkauft sind.

Aber auch in den USA und Kanada ist die "Forget Tomorrow Tour" keineswegs ein Flop. Auf der Basis der Sitzplatzcharts bei ticketmaster.com lässt sich erkennen, dass die meisten Hallen bei den Herbst-Konzerten in Nordamerika gut gefüllt sein werden, zumal die Tour erst im Spätjahr startet.

Bei den bisherigen Konzerten der Tour im Frühjahr vermeldeten die Veranstalter sogar durchweg ausverkaufte Hallen.

Hui und Pfui

Ein weiteres Beispiel ist die Arena-Tour der Doppelheadliner Charli XCX und Troye Sivan, von denen eine Twitter/X-User behauptet, die gesamte Tour leide unter schlechten Verkäufen bei gleichzeitig niedrigen Preisen. Das ist schlichtweg unzutreffend.

In einigen Städten wie Columbus oder Denver sind in der Tat noch viele Tickets zu vergleichsweise niedrigen Preisen verfügbar, aber insbesondere in den Metropolen an der Küste wie New York, Boston, Philadelphia oder San Francisco sind die Konzerte nahezu ausverkauft oder zumindest gut verkauft - und das zu deutlich höheren Preisen. 

Das Management von Charli XCX erklärte auf Nachfrage von Stereogum, dass einige Konzerte der Tour ausverkauft seien (was sich bei Ticketmaster nicht erkennen lässt) und im Hinblick auf die gesamte Tour 70 Prozent aller Tickets einen Abnehmer gefunden hätten. 

Fraglos richtig ist aber auch, dass sich einige Shows der Tour schlecht verkaufen und dass die Veranstalter die Preise dort deutlich gesenkt haben - ohne damit bisher deutlich mehr Karten abzusetzen.

Komplexe Ursachen

Hinsichtlich dieser Tour liegt die Vermutung nahe, dass Charli XCX und Troye Sivan in manchen Regionen oder Städten schlichtweg mehr Fans haben als in anderen – ein Phänomen, das auch bei manchen deutschen Acts wohlbekannt ist. 

Die Gründe für den Erfolg oder Misserfolg einer Tour sind so vielfältig, dass selbst erfahrene Veranstalter oft Schwierigkeiten haben, die genauen Ursachen zu identifizieren. Musik unterliegt wie jedes Kulturgut gewissen Moden und gewisse Künstler können zeitweilig oder dauerhaft an Popularität verlieren. 

Ein heute so mega-populärer Act wie Bruce Springsteen vermochte es 2006 nicht, mit seiner Seeger Sessions Tour bei seinem einzigen Deutschlandkonzert die Frankfurter Festhalle zu füllen. Der Schreiber dieser Zeilen erinnert sich gut daran, dass vor der Halle zahlreiche Ticketverkäufer standen, die vergeblich versuchten, ihre Karten irgendwie loszuwerden. 

Der Faktor Mensch

Menschliche Faktoren wie Gier, Selbstüberschätzung und die Entschlossenheit, das Erreichte mit allen Mitteln zu verteidigen, können ebenso dazu beitragen, bei der Planung einer Tour falsche Entscheidungen zu treffen. 

Genauso wie manche Manager Künstler mit dem Versprechen locken, ihre Karriere auf das nächste Level zu hieven, können Künstler sich weigern, die Realität zu akzeptieren, dass sie nicht mehr so gefragt sind wie zu einem früheren Zeitpunkt ihrer Karriere. 

Als Folge von Corona kaufen viele Fans in vielen Fällen ihre Karten auch weitaus kurzfristiger als früher – eine Entwicklung, die Veranstaltern nicht geringe Probleme bereitet. 

Die Suche nach Ursachen

Schließlich tragen die stark gestiegenen Kosten für Konzertkarten auch Kaufzurückhaltung bei gewissen Events bei. Darunter leiden aber vornehmlich kleinere Konzerte mit weniger bekannten Acts, weil sich die Aufmerksamkeit stark auf die Super- und Megastars konzentriert – jedenfalls bislang.

Erfolg oder Misserfolg eines Events oder einer Tournee vorherzusagen und sie so zu planen, dass sich die Karten möglichst komplett verkaufen, ist stets eine Herausforderung. Es gab schon immer Tourneen, die sich schlecht verkauften – aus ganz unterschiedlichen Gründen. 

Dann beginnt die große Suche nach Ursachen: War der Preis zu hoch? Der Termin schlecht gewählt? War die Promo unzureichend? War das Programm nicht attraktiv? War die Band/der Künstler zu viel unterwegs? Oder zu wenig? Hat sich der Geschmack des Publikums gewandelt? Lag es an der letzten Platte? Ist man einfach nicht mehr so angesagt?

Es ist sehr schwer, aus einzelnen abgesagten Tourneen oder schlecht verkauften Events auf generelle Trends in der Live-Branche zu schließen. Wenn die Live-Branche ein allgemeines Problem hat, dann sind es nicht die Arena- und Stadion-Tourneen oder die großen Festivals, sondern die mittleren und vor allem die kleinen Events, bei denen sich die Stars von morgen ausprobieren können. 

Probleme in Europa?

In Europa war bislang wenig von generellen Problemen beim Ticketverkauf zu hören. Eine gewisse Ausnahme bildet die US-Rockband Pearl Jam, für deren Doppelshows am 2. Juli und am 3. Juli in der Berliner Waldbühne aktuell noch sehr viele Karten zu haben sind.

Für ein Konzert im Stadion von Tottenham Hotspur in London, hat die Band sogar die Preise deutlich reduziert – vermutlich um die Hütte einigermaßen voll zu bekommen.

Das ist ein altbewährtes Rezept: Keine Geringeren als die Rolling Stones haben 2007 zu einer ähnlichen, aber noch radikaleren Maßnahme gegriffen, um das Frankfurter Waldstadion zu füllen: Sie haben die Karten quasi verschenkt. 

Der generelle Niedergang von Stadiontourneen oder der Rolling Stones blieb in der Folge allerdings aus. Im Gegenteil.

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