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Kompliziertes Verfahren

US-Gesetz soll TikTok-Verkauf erzwingen – und dann?

von Daniel Nagel
veröffentlicht am 26.04.2024

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US-Gesetz soll TikTok-Verkauf erzwingen – und dann?

© Collabstr

US-Präsident Joe Biden hat einen vom Kongress verabschiedetes Gesetz unterzeichnet, dass den chinesischen Konzert Byte Dance zum Verkauf von TikTok zwingen soll. Ob das Gesetz aber jemals den gewünschten Effekt erzielen wird, ist unklar, denn TikTok hat angekündigt, rechtlich dagegen vorzugehen. Ob andere Kurzvideo-Plattformen von dem Streit profitieren werden, ist auch nicht völlig klar.

Das Gesetz setzt Byte Dance eine Frist von neun Monaten zur Veräußerung von TikTok (offensichtlich bis 19. Januar 2025), die vom Präsidenten auf ein Jahr verlängert werde kann.

Zwischen dem abgespaltenen Unternehmensteil von TikTok in den USA und dem ehemaligen Mutterkonzern Byte Dance darf keine Verbindung mehr bestehen. Sollte der Verkauf nicht innerhalb dieser Frist erfolgen, planen die USA ein TikTok-Verbot.

Ablehnung aus China

Das wirft vor allem die Frage auf, was mit dem Algorithmus passiert, der TikTok riesigen Erfolg beschert hat. Weder Byte Dance noch die chinesische Regierung werden großes Interesse an einer Weitergabe im Form eines Verkaufs oder der Lizensierung des Algorithmus haben. 

Das wirft die Frage auf, wie die abgespaltene US-Version von TikTok funktionieren soll. Es ist außerdem wahrscheinlich, dass China mit Handelssanktionen und Maßnahmen gegen US-Unternehmen auf das Gesetz reagiert. China hat schon jetzt angekündigt, einen Verkauf von TikTok nicht zuzulassen.

Wer soll TikTok kaufen?

Auch die Frage des Käufers von TikTok in den USA ist ungeklärt. Allein der amerikanische Teil von TikTok dürfte einen Wert von mehreren Milliarden US-Dollar haben.

Dadurch gibt es einen relativ geringen Teil an potentiellen Käufern, beispielsweise Meta oder Google, denen der Kauf aber vermutlich durch Kartellbehörden verweigert wird. 

Als der damalige US-Präsident Trump den Verkauf von TikTok erzwingen wollte, traten der Software-Konzern Oracle und der Einzelhandelsgigant Walmart als potentielle Käufer auf. Ob beide Unternehmen einen neuen Anlauf starten werden, ist aber unklar.

Langer Rechtsstreit

TikTok hat bereits angekündigt rechtliche Schritte gegen das neue Gesetz einleiten zu wollen. TikToks CEO erklärte eindeutig: "Wir gehen nirgendwo hin." Alle rechtlichen Schritte werden einen mehrjährigen Rechtstreit auslösen. Für User wird die Plattform wahrscheinlich während der gesamten Verhandlung unverändert zur Verfügung stehen. 

Die Chancen von TikTok/Byte Dance stehen dabei nicht schlecht. Die Meinungsfreiheit ("Freedom of Speech") hat in den USA traditionell einen hohen Stellenwert und schon der Versuch von Trump, Byte Dance zum Verkauf von TikTok zu zwingen, scheiterte vor US-Gerichten. Es gibt gute Gründe zur Annahme, dass das aktuelle Gesetz kein besseres Schicksal erleiden wird.

Große Unsicherheit

Dennoch sorgt das US-Gesetz für große Unsicherheit. Es hat das Potential, das US-Geschäft von TikTok nachhaltig zu beinträchtigen. Schon jetzt hat sich das Wachstum von TikTok stark reduziert bzw. ist in den USA zum Erliegen gekommen. Die Ursache: Die Hauptzielgruppe von TikTok altert und kann aufgrund zunehmender Verpflichtungen nicht mehr so viel Zeit auf der Plattform verbringen.

Aber auch der Rückzug von Universal könnte sich schon bemerkbar machen. Laut einer MBW vorliegenden Analyse von Sensor Tower, sollen sich seit dem Universal-Rückzug tatsächlich Kürzungen der durchschnittlichen Nutzungszeiträume auf der Plattform bemerkbar gemacht haben. Ob es sich hierbei um eine langfristige Veränderung handelt, bleibt abzuwarten.

Im Zusammenhang mit dem Universal-Rückzug von TikTok stellt sich aber auch die Frage, ob andere Social Media Plattformen, die Kurzvideos anbieten, von TikToks Problemen proftieren könnten.

In einem Interview mit Musically sehen drei Mitarbeitende in Marketing-Agenturen, die auf Labels und Artists spezialisiert sind, durchaus Möglichkeiten für Musikschaffende, betonen aber auch die Unterschiede. Die drei Befragte sind Simon Friend, COO von Round, Imani Lewis, Director of Music bei Vrtcl und Zebr CEO Josh Deal.

Andere Prioritäten

Sie betonen, dass sich TikTok und Instagram in Hinblick auf den Content stark unterscheiden. Auf TikTok steht ganz klar die Musik im Vordergrund. Darüber hinaus sind die Beiträge eher dazu gedacht, um User auf der Plattform zu Fans der Creator zu machen. Auf TikTok ist sogenannter "User Generated Content" erfolgreicher als auf Instagram. 

Instagram hingegen zeigt einen höheren Fokus auf den Inhalt und die Qualität der Reels, die oft aufwändig produziert sind. Musik steht eher im Hintergrund und dient zur Begleitung und Untermalung der Reels, vergleichbar einem Film-Soundtrack. 

Unterschiedliche Altersgruppen

Auch in Hinblick auf die Altersgruppe unterscheiden sich TikTok und Instagram stark. Instagram wird größtenteils von Personen zwischen 25 und 34 Jahren genutzt, TikTok hat deutlich jüngere User.

Über die vergleichsweise neuen YouTube Shorts liegen noch nicht viele Erkenntnisse vor. Allerdings können die Videos dort deutlich länger sein und erreichen ein breiteres Publikum, da alle Altersgruppen stark auf YouTube vertreten sind.

Gegenläufige Trends

TikTok und Instagram gleichen sich nicht einander an, sondern entwicklen sich in gegenläufige Richtungen. Während TikTok eine reine Kurzvideo-Plattform ist, verfügt Instagramt mit dem Feed, Reels und Storys über drei unterschiedliche Wege, User anzusprechen. 

Zudem stehen auf Instagram nicht (Musik)-Videos im Vordergrund, sondern Fotos. Eindrucksvolle Fotos sollen das Publikum ansprechen und zum Kauf von Merch oder Tickets motivieren. Auf TikTok dient der Song dazu, Streaming Zahlen nach oben zu treiben.

Es ist daher nicht sinnvoll auf Instagram denselben Content zu posten wie auf TikTok. Der Content muss auf die jeweilige Plattform abgestimmt sein. Aus diesem Grund nutzen Künstler beide Plattformen komplementär: Ein einfacher Wechsel von TikTok zu Instagram bliebe wohl erfolglos.

Höhepunkt überschritten?

Das Zusammentreffen gleich mehrerer krisenartiger Entwicklungen wirft die Frage auf, ob TikTok seinen Höhepunkt bereits überschritten hat.

Das wäre nicht überraschend: Gesellschaftliche und politische Reaktionen erfolgen häufig auf Entwicklungen, die bereits vorüber bzw. auf dem absteigenden Ast sind, aber sie sind sowohl in der Lage den Niedergang zu beschleunigen wie auch ihn aufzuhalten. 

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