Zweistellige prozentuale Erhöhungen erwartet
Warum die Preise für Konzertkarten nach Corona drastisch steigen werden
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Einlass zu Fil Bo Riva in Leipzig, 2021. © Christian Grube
Fans von Roland Kaiser dürfen sich freuen. Die "Kaisermania"-Konzerte am Dresdner Elbufer sollen 2022 wieder stattfinden. Kartenbesitzer für die 2020 und 2021 ausgefallenen Shows müssen ihre Karten dennoch zurückgeben und erhalten einen Gutschein, mit dem sie bis Mitte November Karten für die Kaisermania-Konzerte des Jahres 2022 erwerben können, deren Zahl die Veranstalter auf sechs erhöhten.
Der Haken dabei: Der Ticketpreis für die 2022er-Shows liegt je nach Karte 15-20 Euro höher als 2021 und 2020. Für eine Karte, die 2019/2020 noch 67,50 Euro kostete, werden nun 84,50 Euro fällig - eine Erhöhung von 25%.
Abzocke oder gerechtfertigte Preiserhöhung?
Dieter Semmelmann Geschäftsführer des Konzertveranstalters Semmel Concerts erklärte die Steigerung gegenüber der BILD-Zeitung mit "Mehraufwand", gestiegenen Kosten für Technik, "Personalknappheit" sowie zusätzlichen Aufwendungen für "Security, Ticketorganisation oder Hygienevorschriften".
Die Reaktion der Roland Kaiser-Fans fiel gemischt aus. Während einige die Notwendigkeit der Preiserhöhung unumwunden zugestanden und auf die schwierige Lage der Kultur- und Veranstaltungsbranche insgesamt verwiesen, beklagten andere "Abzocke".
Kartenpreise könnten um 15-30% steigen
Steigende Ticketpreise betreffen aber nicht nur Fans des deutschen Schlagers. Viele Akteure der Veranstaltungswirtschaft machen keinen Hehl daraus, dass die Preise für Konzertkarten kurz- und mittelfristig um ca. 15 bis 30% steigen werden. Die Gründe sind vielfältig.
Ein kleiner Teil der Steigerung ist sicherlich inflationsbedingt. Die Ticketpreise für Großveranstaltungen wurden für 2020 kalkuliert, aber viele werden erst 2022 stattfinden, weshalb für neu bestätigte Shows die in den letzten zwei Jahren angefallenen Preissteigerungen an die Verbraucher weitergegeben werden.
Steigerungen an allen Fronten
Die Preissteigerungen betreffen beispielsweise Personal- und Energiekosten. Die wahrscheinlich bevorstehende Erhöhung des Mindestlohns wird auch die Kosten für Security und für Aufbau- und Abbauhelfer erhöhen, von denen bei großen Konzerten mehrere Dutzend benötigt werden.
Besonders stark fallen die Steigerungen für Licht-, Ton- und Bühnentechnik aus. "Die Technikfirmen haben ihre Preise drastisch erhöht, und zwar um 20 bis 30%", erklärt Axel Ballreich, Vorsitzender der LiveKomm und einer von drei Inhabern des Concertbüros Franken. Auch er rechnet daher mit deutlichen Erhöhungen der Kartenpreise: "Es ist abzusehen, dass die Preise für Konzertkarten mindestens um 15 bis 20% steigen werden."
Ballreich verweist darauf, dass die Technik-Firmen in den vergangenen zwei Jahren fast keine Einnahmen erzielt haben und auch keine "Nebengeschäfte" durchführen konnten, da niemand ihre Technik benötigt habe.
Auch viele Techniker hätten ihre Preise erhöht, wenn sie dem Markt überhaupt zur Verfügung stünden und nicht in andere Branchen abgewandert seien. Da Techniker und Technik aber für die Durchführung der Konzerte zwingend notwendig seien, hätten die Veranstalter gar keine Wahl als die neuen, höheren Tarife zu akzeptieren.
Konzerte als Verlustgeschäft
Ballreich erklärt, die Steigerung der Ticketpreise werde sich nicht überall gleichzeitig bemerkbar machen, da viele für 2022 geplante Konzerte aus den Jahren 2020 oder 2021 verschoben seien und grundsätzlich zu den alten Tarifen veranstaltet würden. Das habe aber zur Folge, dass eine ganze Reihe der verschobenen Konzerte nicht kostendeckend durchgeführt werden könnten.
Das sei ein "Riesenproblem", aber eine einfach Lösung existiere nicht, es sei denn man handele so “knallhart” wie Semmel Concerts und zwinge die Besucher, Karten für ein Event nochmal neu zu höheren Preisen zu kaufen, obwohl sie bereits in der Vergangenheit eine Karte erworben hatten.
Musikclub stemmt sich gegen Erhöhung
Während die Preiserhöhungen für große Konzerte unausweichlich zu sein scheinen, verzichtet der Musikclub Colos-Saal in Aschaffenburg bislang auf Preiserhöhungen für Konzertkarten – sofern Claus Berninger, Inhaber des Colos-Saals, die Entscheidung alleine treffen kann.
Berninger verweist auf den hohen Anteil von Stammpublikum unter Besuchern der von ihm veranstalteten Konzerte und erklärt, er wolle keinesfalls sein Stammpublikum durch massive Preiserhöhungen vergraulen.
Veranstalter großer Konzerte seien für die Besucher weitgehend anonym, während ein Club wie der Colos-Saal eine enge Verbindung mit seinem Publikum pflege. Zu Beginn der Pandemie konnte der Colos-Saal daher (wie viele andere Clubs auch) auf die Bereitschaft des Publikums zählen, den Club durch Spenden- oder Crowdfunding-Aktionen zu unterstützen.
Alternativlose Preiserhöhungen?
Durch Kurzarbeitergeld konnte Berninger seine festangestellten Techniker halten, wodurch die Kostensteigerungen in diesem Bereich ihn nicht oder nur in geringem Maß betreffen. Für Shows in Musikclubs wird zudem auch weniger Personal benötigt als für wirklich große Hallen-, Stadion- oder Open-Air Konzerte.
Für Berningers Geschmack waren die Ticketpreise schon vor der Pandemie zu hoch. Er schlägt vor, aufwändige Produktionen abzuspecken und dadurch die Kosten in den Griff zu bekommen. Veranstalter sollten außerdem bei Preiserhöhungen Maß und Vorsicht walten lassen.
"Völlig falsch" sei es, wenn Veranstalter versuchten, die fehlenden Einnahmen der vergangenen Jahre durch Preiserhöhungen zu kompensieren. "Das werden die Fans auch nicht mitmachen", so Berninger.
Auch Clubshows werden teurer
In anderen bekannten Musikclubs scheinen Preiserhöhungen unvermeidlich zu sein. Die Verantwortlichen des Schlachthofs Wiesbaden rechnen mit deutlich steigenden Ticketpreisen in den kommenden Jahren, erklärt Pressesprecher Hendrik Seipel-Rotter. Ein entsprechender Trend sei schon jetzt erkennbar.
In manchen Fällen könnte die Steigerung bis zu 30% betragen, wenn man die künftigen Ticketpreise mit denjenigen der Shows in den Jahren vor der Pandemie vergleich. Das sei aber in gewisser Weise auch nachvollziehbar.
Künstler konnten fast zwei Jahre keine Einnahmen durch Konzerte erzielen. Zudem führen steigende Preise für Energie, Equipment, Technik oder Personal auf allen Seiten zu höheren Kosten.
Felix Grädler von der halle02 in Heidelberg sieht Preiserhöhungen in privat geführten Clubs, die keine oder nur wenig staatliche Förderung erhalten, ebenfalls als sicher an.
Wie das Publikum auf die steigenden Ticketpreise reagieren wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig unklar. Die Reaktion der potentiellen Konzertbesucher wird darüber entscheiden, wie es mit der Konzertbranche insgesamt weitergeht.
Unternehmen
Live Musik Kommission (LiveKomm)
Verband der Musikspielstätten in Deutschland e.V.
Locations
Colos-Saal
Roßmarkt 19, 63739 Aschaffenburg
Schlachthof
Murnaustr. 1, 65189 Wiesbaden
halle02
Zollhofgarten 2, 69115 Heidelberg
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