Ist die Hansestadt "zu blöd fürs Molotow"?
Das Schicksal des Musikclubs Molotow wird wegweisend für die Zukunft der Hamburger Musikszene
Tausende Unterstützer demonstrierten in Hamburg für den Erhalt des Molotows. © Sebastian Madej (Insta Sebastian_Husum)
Der Schock kam kurz vor Weihnachten: Das Molotow, Hamburgs berühmtester Live-Club für Rock und Indie und seit 34 Jahren eine Institution auf dem Kiez, erhielt die Kündigung.
"Für uns kam das sehr überraschend, weil wir immer darum gebeten haben, in einem solchen Fall rechtzeitig Bescheid zu bekommen. Das heißt ein Jahr früher, denn so lange ist etwa der Booking-Vorlauf", sagt Club-Chef Andi Schmidt.
Ein Schlag für die Musikstadt Hamburg
Die Kündigung trifft den Musikstandort Hamburg ins Mark. Nicht nur verlieren rund 50 Molotow-Mitarbeiter:innen ihren Job. Die Hansestadt verliert zudem ein internationales Aushängeschild für Live-Musik. Seit seiner Eröffnung 1990 wurde der Club an der Reeperbahn mehrfach zur beliebtesten Live Musik-Location in Deutschland gewählt und ist auch international hoch angesehen.
Hier spielten viele Größen das erste Deutschlandkonzert ihrer Karriere, darunter The Black Keys, The White Stripes, Mando Diao oder Mumford & Sons. In dem Keller im Herzen St. Paulis wurden Karrieren geboren, Sternstunden und Abstürze zelebriert. Die Bedeutung des Molotow für die lokale Musikszene kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Denn neben den großen internationalen Namen steht der Club auch für eine erfolgreiche Newcomerförderung.
Teil eines Negativtrends
Das Molotow-Aus kommt zudem zu einer Zeit, in der auch eine ganze Reihe anderer Clubs in Hamburg vor dem Aus stehen bzw. umziehen müssen. Unter der Sternbrücke mussten zum Jahreswechsel die Astra Stube, der Waagenbau, das Fundbureau, die Beat Boutique sowie die Bar 227 weichen, im Karoviertel hat es das Pal erwischt. Während einige Clubs mit Hilfe der Stadt neue Standorte gefunden haben, stehen andere vor einer ungewissen Zukunft. Ein Kahlschlag, der alarmierend ist und zeigt, wie fragil Clubszenen sind.
"Wir hoffen deshalb, dass es endlich zu einem Umdenken bei den Verantwortlichen kommt. Die Stadt schmückt sich gerne mit ihrer lebendigen Musikszene, tut aber wenig für sie. Am Ende sind es immer die Clubs, die gehen müssen oder an den Rand gedrängt werden. Kultur muss man auch mal schützen und sich im Zweifel auch mal gegen den Bau eines Hotels entscheiden", sagt Schmidt.
Warum überhaupt derzeit eine Reihe von Hotels auf der Reeperbahn gebaut wird, bleibt ein Geheimnis der Stadt. Bislang war die Reeperbahn der einzige Zufluchtsort für Menschen in Hamburg, die nachts nicht schlafen konnten oder wollten. Künftig wird sich das durch solche Entscheidungen ändern.
Neue Zerreißprobe
Die aktuelle Situation ist nicht die erste Zerreißprobe für das Molotow. Schon häufig stand der Club in seiner Geschichte vor dem Aus. Und er musste in seiner 34-jährigen Geschichte schon zweimal umziehen: 2014 von seinem ursprünglichen Standort in den Esso-Häusern am Spielbudenplatz zunächst in ein vorübergehendes Exil an der Holstenstraße, dann in den jetzigen Standort am Nobistor.
Der aktuelle Standort war nur als Zwischenlösung gedacht, bis der Neubau am Spielbudenplatz, das sogenannte "Paloma-Viertel" fertiggestellt ist und das Molotow an seinen Ursprungsort zurückziehen kann. Problem nur: Seit zehn Jahren liegt die Fläche brach –ein Baubeginn ist nicht in Sicht. Angeblich gibt es Verhandlungen über den Rückkauf des Grundstücks durch die Stadt, aber genauere Informationen gibt es nicht. Und Ausweichflächen sind kaum vorhanden.
Für Andi Schmidt ist aber klar, dass er nicht aus St. Pauli wegziehen möchte. „Das wäre auch ein völlig falsches Zeichen. St. Pauli ist das Herz der Musikstadt Hamburg. Ein Livemusik-Club wie wir gehört in diesen Stadtteil“, sagt er. Das Molotow ist damit erneut zu einem Sinn- und Vorbild für den Kampf gegen Verdrängung und Aufwertungsprozesse in St. Pauli geworden.
Suche nach Lösungen
Unterstützung bekommt der Club von vielen Seiten. Noch im Dezember – wenige Tage nach Bekanntgabe der Kündigung – organisierte das Molotow eine Großdemonstration durch St. Pauli. Rund 5.000 Teilnehmer:innen solidarisierten sich mit dem Club und der Hamburger Musikszene.
© Sebastian Madej (Insta Sebastian_Husum)
"Das hat mich schwer beeindruckt. Ich war wirklich überwältigt, wie viele Leute da waren, quer durch alle Generationen durch. Das hat uns auf jeden Fall sehr viel Mut gemacht", sagt Andi. Auch das Clubkombinat, also der Verband der Hamburger Clubbetreiber:innen, Party- und Kulturereignisschaffenden mit knapp 170 Mitgliedern, hilft kräftig mit bei der Suche nach Lösungen. Und auch von Seiten der Politik tut sich langsam etwas.
Immerhin hat das Molotow nun einen Aufschub bis Ende 2024 erhalten. Das hilft zumindest dabei, die bisher geplanten Konzerte auch durchzuführen. Auch eine Zwischenlösung soll bald in Aussicht gestellt werden. Klar ist aber auch, dass das nicht reichen wird. „Wir brauchen verlässliche und vor allem dauerhafte Lösungen und das möglichst schnell“, sagt Andi Schmidt.
Prominente Unterstützer
Wirkung zeigen auch die zahlreichen Unterstützer-Videos von internationalen Musik-Acts, die das Molotow auf seinen Social Media-Kanälen postet. Größen wie Bela B., Frank Turner, Dreamwife, Tellavision, Die Goldenen Zitronen, Carsten "Erobique" Mayer, Olli Dietrich, Hot Wax, Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs und viele andere haben bereits ihre solidarischen Grüße geschickt.
"Wir wollen damit zeigen, wie vielen Menschen unser Club etwas bedeutet. Und wir geben die Hoffnung nicht auf, dass auch die Stadt das endlich versteht", sagt Andi Schmidt. Die Stuttgarter Punkrockband Schmutzki hat sogar einen Song namens "Molotow must stay" aufgenommen. "Hamburg sei nicht blöd. Molotow muss bleiben", heißt es darin. Bleibt zu hoffen, dass die Entscheidungsträger den Intelligenztest bestehen.
Locations
Molotow Club
Nobistor 14, 20359 Hamburg
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