Anlässlich der "Back To Live" Konzertreihe
Deutsche Veranstaltungswirtschaft fordert Regierung auf, endlich eine Perspektive zu bieten
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Dieter Semmelmann. © Semmel Concerts Entertainment GmbH
Im Rahmen der Pressekonferenz, die am 3. September 2020 in Berlin stattfand, resümierte Dieter Semmelmann, Geschäftsführer von Semmel Concerts, die Entwicklung der Coronakrise für die Veranstaltungsbranche.
Keine wirtschaftliche Grundlage
Nach monatelangem Veranstaltungsverbot müssten die Veranstalter/innen bis zum Ende des Jahres Abstandsregeln einhalten, die die "wirtschaftliche Sinnhaftigkeit einer Veranstaltung" von vornherein ausschlössen:
"Wir respektieren selbstverständlich alle zum Schutz vor Corona-Infektionen gebotenen Maßnahmen. Aber wenn die es erforderlich machen, dass Veranstaltungen weiterhin nur unter derart eingeschränkten Bedingungen durchgeführt werden dürfen, wird unser Wirtschaftszweig nur überleben, wenn uns schnell umfangreiche finanzielle Hilfen zuteilwerden“.
Als Beispiel für die derzeitige Situation nennt Semmelmann die von ihm veranstalteten Neustart Open-Airs in der Berliner Waldbühne, die unter normalen Umständen 22.000 Personen fasst. Aus Gründen des Infektionsschutzes sind aktuell jedoch nur 5.000 Gäste zugelassen. Semmelmann gibt an, er habe mit den Künstler/innen beschlossen, endlich wieder etwas zu veranstalten. Geld verdienen ließe sich so jedoch nicht.
Die Krise wird spürbar
Prof. Jens Michow, Präsident des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, hatte bereits im Interview mit Backstage PRO auf die drastischen Konsequenzen der Coronakrise für die Branche hingewiesen. Auf der Pressekonferenz in Berlin gibt er an, dass die Folgen zunehmend spürbar werden; die ersten Unternehmen kündigten hinsichtlich der Verlängerung des Veranstaltungsverbotes an, dass sie das Jahr wirtschaftlich nicht überleben werden.
Michow wiederholte daher die Forderungen seines Verbandes nach umfassenden Finanzhilfen mindestens in Höhe der unternehmerischen Fixkosten und der variablen Kosten bis zur kompletten Wiedereröffnung. Nur so könne der totale Zusammenbruch der Branche verhindert und ein Wiedereinstieg im kommenden Jahr ermöglicht werden. Weiterhin sei die wirksame Unterstützung von Künstler/innen, Vermittlungsagenturen und Veranstaltungsdienstleister/innen erforderlich:
"Weder die Überbrückungshilfen noch das soeben ausgehandelte Förderprogramm sind geeignet, die Löcher zu stopfen. Durch die Förderung werden zwar zukünftige Veranstaltungsverluste vermieden, sie dient aber nicht dazu, den Veranstaltern einen zumindest bescheidenen Gewinn zu sichern. Die Branche fordert daher im Interesse der Erhaltung der deutschen Live-Kultur ein verbindliches Hilfs-Szenario für die Zukunft."
Der Flickenteppich
Zu den weiteren Problemen, die im Rahmen der Pressekonferenz angesprochen wurden, gehörten u.a. der derzeitige "Flickenteppich" unterschiedlichster Veranstaltungsverordnungen, der die Durchführung von Events laut Semmelmann unmöglich macht:
"Wir brauchen schnellstmöglich einheitliche, nachvollziehbare und bundesweit verbindliche Regeln für Hygiene-, Organisations- und Dokumentationsstandards.
Wir können mit personalisierten Tickets arbeiten und spezielle Einlassverfahren und Hygienemaßnahmen wie den obligatorischen Mund-Nasen-Schutz umsetzen. Was definitiv nicht geht, ist allerdings die Einhaltung eines Mindestabstands zwischen den Besuchern, zumal darauf ja auch in Flugzeugen, Bussen und Bahnen längst verzichtet wird."
Big Player
Michow erinnerte diesbezüglich erneut an die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Veranstaltungsbranche: 2019 hat diese einen Umsatz von rund 6 Milliarden Euro erwirtschaftet. Mit 160.000 Erwerbstätigen seien hier mehr Menschen tätig als in jeder anderen Branche der Medienwirtschaft, und nur gut 10.000 Personen weniger als bei der Deutschen Lufthansa weltweit. Weiterhin sichere die Branche die Existenz von über zehntausend Künstler/innen. Dazu Semmelmann:
"Veranstaltungen sind der Motor der gesamten Musikwirtschaft – finden keine Veranstaltungen statt, haben Künstler/innen keine Einnahmen. Können Künstler/innen keine Musikwerke aufführen, erzielen auch die Musikautoren und Texter sowie die Musikverlage keine Einnahmen und so geht das im gesamten Musikwirtschaftsbereich weiter."
Michow wies zusätzlich auf die indirekten Effekte des Wirtschaftszweifs hin: Die Veranstaltungsbranche generiert demnach jährlich einen Umsatz von rund 13 Milliarden Euro durch Musikreisen innerhalb Deutschlands.
Sicherheit gefordert
Beide Akteure stimmen darin überein, dass die Branche dringend Planungs- und Investitionssicherheit brauche. Nur so könne die wirtschaftliche Existenz aller vom Veranstaltungsgeschäft abhängigen Künstler*innen sowie der Dienstleister sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unternehmen, und damit letztlich auch die kulturelle Vielfalt in Deutschland, gesichert werden. Michow fasst zusammen:
"Wir fordern deshalb die politisch Verantwortlichen auf, mit uns und den weiteren betroffenen Veranstaltungsbereichen unverzüglich in den Dialog zu treten und eine gemeinsame Arbeitsgruppe einzurichten, in welcher tragfähige Lösungen entwickelt werden. Dafür ist es allerdings wenige Minuten vor Zwölf!"
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