×

Success Redefined

Streaming, Social Media und Co.: Was bedeutet es heute als Musiker oder Musikerin erfolgreich zu sein?

Spezial/Schwerpunkt von Antonia Freienstein
veröffentlicht am 28.06.2024

musikbusiness streaming

Streaming, Social Media und Co.: Was bedeutet es heute als Musiker oder Musikerin erfolgreich zu sein?

© Vishnu R

Spotify, Instagram, TikTok - Neue Medien haben in den letzten Jahren einen großen Wandel in der Musikindustrie bewirkt. Wie eine aktuelle Studie veranschaulicht, nehmen sie nicht nur Einfluss darauf, wie Musik konsumiert wird, sondern wirken auch auf das Selbstverständnis von Künstler*innen zurück. Traditionelle Erfolgsmarker wie Chartplatzierungen verlieren an Bedeutung, während persönliche Erfolgsziele beim Kampf um eine nachhaltige Karriere als Musiker bzw. Musikerin an Wichtigkeit gewinnen.

In der modernen Musikindustrie lässt sich "Erfolg" schwerer fassen als noch vor ein paar Jahrzehnten, als dieser vor allem mit hohen Chartplatzierungen und Verkäufen von Tonträgern einherging, die den Weg zu Berühmtheit und Reichtum ebnen sollten.

Wie sehr die Digitalisierung der Musikwelt dieses Bild gewandelt hat, zeigt eine Studie von MIDiA Research und Amuse [PDF], für die insgesamt 450 Musiker*innen befragt wurden, die aktuell Musik veröffentlichen. Die Studie verdeutlicht: Traditionelle Erfolgsmarker wie Tonträgerverkäufe oder die Position in den nationalen Charts stellen nicht mehr die zentralen Aushängeschilder dar, die den Erfolg eines Artists definieren.

Die kommerzielle Seite von Erfolg ist natürlich auch heute noch präsent. Neben traditionellen Markern wie Chartpositionen bilden nun etwa Streaming-Zahlen und die Anzahl an monatlichen Hörenden typische Maßeinheiten, anhand derer Musikschaffende den Erfolg eines Projektes bewerten.

Die Studie weist darauf hin, dass viele dieser Marker von Erfolg durch die Eigeninteressen der Musikindustrie bestimmt und selten im Kontext der eigenen Ziele der Künstler und Künstlerinnen verankert seien. Aus der Befragung der Teilnehmenden geht etwa hervor, dass der Wunsch berühmt zu werden, für Künstler*innen ziemlich weit unten in ihrem Ranking verschiedener erfolgsrelevanter Marker zu finden ist.

Stattdessen priorisieren Künstler*innen heute stabile, unabhängige Karrieren, die es ihnen ermöglichen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie bewerten als Erfolg, den Tages- oder Zweitjob aufgeben zu können, um sich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren, zur eigenen Szene beizutragen und dafür respektiert zu werden. Dabei verfolgen sie weniger das Ziel, den Mainstream zu erreichen, sondern legen stattdessen den Fokus darauf, eine engagierte Fangemeinde aufzubauen und ein loyales Publikum zu finden. 

Erfolgsmarker verändern sich im Verlauf der Karriere

Interessant ist zudem die Erkenntnis der Studie, dass sich die Vorstellung, was Erfolg bedeutet, im Laufe der Karriere von Kunstschaffenden als nicht statisch erweist und sich stattdessen in einem ständigen Wandel befindet. 

Zu Beginn einer Karriere konzentriere sich die Wahrnehmung von Erfolg hauptsächlich auf die Anerkennung in der eigenen Szene, auf Bestätigung durch Fans und Kolleg*innen sowie die Verbindung zu anderen Musikern und Musikerinnen. Marker dieses Erfolgs sei in der Regel jeweils das, was den nächsten Schritt in der Karriere eines Künstlers oder einer Künstlerin definiert - etwa ein Slot bei einem angesagten Festival oder ein Feature mit einem erfolgreichen Musiker.

Später würden Künstler und Künstlerinnen dann das Ziel verfolgen, die eigene Karriere aufrechtzuerhalten und kommerziell so zu wachsen, dass der Schritt zur Professionalisierung vollzogen werden kann. Erreichen sie dieses Ziel, sei es ihnen ein Anliegen, einen bleibenden kulturellen Einfluss zu erreichen. Die große Ambition besteht dann darin Musik zu schaffen, die ihrer eigenen künstlerischen Vision entspricht und damit auch noch in der nächsten Generation (zumindest in kleinem Rahmen) als einflussreich zu gelten.

Aktuelle Herausforderungen für Artists in der Musikbranche

Allgemein wird deutlich: Die Anforderungen der Musikindustrie und die Ziele der Künstlerinnen und Künstler stehen nicht unbedingt in Einklang. Die Diskrepanz zwischen dem, was Künstler*innen wollen und wie Branchenakteure ihren Erfolg bewerten, führt wiederum zu Herausforderungen, mit denen sich die Studie von MIDiA und Amure ebenfalls beschäftigt hat.

Diese kommt zu dem Schluss, dass es oft die Erwartungen anderer und nicht die eigenen Ziele seien, die am schwersten auf Artists lasten. Tourneen erfordern neue Veröffentlichungen, diese wiederum das Schreiben, Aufnehmen und Vermarkten neuer Werke und somit die Investition von Zeit und Geld. Mit immer mehr Veröffentlichungen steigt die Arbeitsbelastung und die Zielsetzungen werden kurzfristiger.

Angesichts der inflationär ansteigenden Veröffentlichungen von Musik wird es immer schwieriger, aus der Menge der auf Streaming-Plattformen hochgeladenen Songs herauszustechen und wahrgenommen zu werden. Dieser Umstand wird von den im Rahmen der Studie befragten Artists als Herausforderung Nr. 1 wahrgenommen.

Folglich sind Artists dazu gezwungen, ihre Musik möglichst erfolgreich zu vermarkten - am besten über die sozialen Medien. Da in diesem Umfeld bzw. Kommunikationskanal vor allem authentische Inhalte von User und Fans gefragt sind und verstärkt Reichweite generieren fällt die Arbeit, Inhalte zu erstellen und zu posten, häufig auf die Künstler oder Künstlerinnen selbst zurück und nicht etwa auf PR-Agenturen, die sich eh nur die wenigsten Acts leisten können. Social Media Kommunikation erfordert Kreativität und viel Zeit, die an anderer Stelle fehlt. So gaben ganze 40 Prozent der an der Studie teilnehmenden Musiker*innen an, nicht genug Zeit zum Komponieren und Produzieren ihrer Musik zu haben

Die fehlende Zeit kann jedoch auch dadurch bedingt werden, dass Künstler*innen häufig noch einem weiteren Job nachgehen, um ihre Musikkarriere zu finanzieren. Das zeigt sich auch in Nummer 3 der am häufigsten genannten Herausforderungen im Rahmen der Studie: das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel.  

Labeldeals - neue Partner gesucht

Vor der Streaming-Ära war der Abschluss eines Plattenvertrags wohl das wichtigste Zeichen für den Erfolg einer Band oder von Solokünstler*innen. Heute besitzen Plattenverträge eine ganz andere Bedeutung und weisen in ihrer Struktur teilweise grundlegende Unterschiede zu früher auf. 

Während die Zusammenarbeit mit einem (großen) Label früher etwa Einkommen, Status und Zugang zur globalen Marketingmachine - kurz gesagt große Unterstützung im Aufbau einer musikalischen Karriere - versprach, wird heute häufig von Künstler*innen erwartet, dass diese bereits "ihren Durchbruch" selbst bewirkt und eine beträchtliche Anhängerschaft auf den Streamingdiensten und Social Media vorweisen können, bevor ein Label sie unter Vertrag nimmt.

Statt einen Plattenvertrag anzustreben, suchen Artists heute eher nach Partnern, die ihnen auf ihrem Weg auf die nächste Stufe also beim Erreichen spezifischer Ziele behilflich sein können – etwa in der Produktion eines Hit-Songs, der Umsetzung einer Tournee oder eines Albumprojekts.

Auch etablierte Künstler*innen suchen laut Studie nach Wegen, sich von traditionellen Label-Vereinbarungen zu lösen, um Partner zu finden, die mit ihren flexibleren und variierenden Definitionen von Erfolg vereinbar sind. Sie bevorzugen es also, den Freiraum zu haben, möglichst unabhängig zu agieren.

Ein aktuelles Beispiel bietet hierbei etwa der britische Musiker Robin Skinner – besser bekannt unter dem Künstlernamen Cavetown. Im Zuge der Bekanntgabe einer neuen Veröffentlichung zeigte sich dieser in einem Instagrambeitrag erfreut darüber, nach der Loslösung aus seinem Vertrag mit einem Major Label wieder Musik auf Bandcamp veröffentlichen zu können. Dort heißt es:

“Ich habe heute ein Cover von einem Mitski-Song veröffentlicht, das überall erhältlich ist… auch auf Bandcamp. Es ist viel zu lange her!! Aber ich bin endlich wieder auf der Plattform, auf der ich mit 13 Jahren angefangen habe, meine Musik zu veröffentlichen [...]. Als ich 2018 bei einem Label unterschrieben habe, wusste ich nicht, dass dieses keinen Vertrag mit Bandcamp hatte, was bedeutete, dass es gegen meinen Vertrag verstoßen hätte, weiterhin dort zu posten. Ich bin ein bisschen am Boden zerstört gewesen, habe aber immer gehofft, dass ich eines Tages zurückkehren könnte. Seit kurzem bin ich von meinem Major-Label-Vertrag entbunden worden und kann posten, wo immer ich will!!!!”

Tatsächlich gaben nur 6 Prozent der befragten professionellen Vollzeitmusiker*innen an, ein Major Label als idealen Partner zu betrachten. Bei einem Indie Label waren es immerhin 25 Prozent. Am besten schnitt mit 28 Prozent jedoch die Kategorie "eine Online-Plattform zur Selbstvermarktung mit allen erforderlichen Tools" ab. 

Live-Auftritte – ein Erfolgsmarker im Wandel

Live Auftritte sind angesichts des zunehmenden Wettbewerbs um das Publikum zwar weiterhin von zentraler Wichtigkeit für eine erfolgreiche Karriere, die damit verbundenen Kosten sind in den letzten Jahren jedoch in die Höhe geschossen.

Viele Musikschaffende erzielen mit Tourneen keinen Gewinn. Anders als noch vor der Corona-Pandemie sind sie somit weder der beste Weg, um Geld zu verdienen, noch eine kosteneffektive Methode, um sich ein Publikum aufzubauen. 

Das Verhältnis von Musiker*innen zu Live-Auftritten befindet sich deshalb in einem kritischen Zustand. Dennoch bleibt der Durchbruch in die jeweils "nächste Ebene" an Veranstaltungsorten, also das Gelingen immer größere Venues bespielen zu können, nach wie vor das – wenn auch immer unbequemer werdende – Ziel vieler Künstler und Künstlerinnen.

Sync als wichtige Ergänzung

Wiederum anders sieht es im Bereich Sync - also der Verbindung musikalischer Inhalten mit Filmen, Fernsehserien, Videospielen oder Online-Werbespots - aus. Strukturell hat sich hier nichts geändert: Syncs hängen noch immer größtenteils von den Entscheidungen von Programmgestalter*innen und Musiksupervisor*innen ab. 

Jüngste Erfolge haben Sync-Möglichkeiten jedoch noch begehrenswerter gemacht. So landete etwa Kate Bushs “Running Up That Hill” durch eine Platzierung in der Netflix Serie "Stranger Things" 37 Jahre nach Erstveröffentlichung wieder an der Spitze der Charts. 

Für Musiker*innen bietet Sync eine effektive Positionierungsmethode, die Einfluss auf Streams und die Verbreitung der Songs auch auf anderen Plattformen wie TikTok und Instagram nehmen und somit für Reichweite sorgen kann. Aus diesem Grund ist Sync heute umso mehr ein wichtiges Marketing Tool zur Monetarisierung von Backstock Katalogen.

Sync kann also durchaus als beständiger Erfolgsmarker gewertet werden, eine zuverlässige Einnahmequelle stellt es jedoch nicht dar. Die Studie ergab, dass zwar fast ein Drittel der Befragten Sync-Einnahmen erzielt, diese jedoch im Durchschnitt nicht mehr als 10 Prozent ihres Gesamteinkommens ausmachen.

Nachhaltiger Erfolg in einer schnelllebigen Zeit

Während die alten Marker des Mainstream-Erfolgs wie Chartplatzierungen, Radio-Plays, Auszeichnungen und Coverstories noch eine halbwegs gute Chance auf Langlebigkeit boten, hat sich dies im Streaming-Zeitalter gewandelt. 

Immer mehr Veröffentlichungen auf Streamingplattformen ermöglichen nicht nur stark personalisierten Musikkonsum, sie sorgen auch dafür, dass es weniger Songs tatsächlich in den Mainstream schaffen und diese schnell wieder abgelöst werden. Bei den neu hinzugekommenen Markern wie Streaming-Zahlen und Followern sieht es ähnlich aus.

Eine an der Umfrage teilnehmende Person äußert sich dazu wie folgt:

"Zahlen sind in dieser Zeit so instabil, Follower und Views bedeuten nicht unbedingt, dass man eine stabile Fanbasis hat."

Auf diesen Umstand hat auch Musiker und Patreon-CEO Jack Conte in seinem Vortrag im Rahmen des diesjährigen SXSW Festivals hingewiesen. Darin legte Conte Kreativschaffenden ans Herz, in tiefe Verbindungen zu ihren Fans zu investieren. Es gehe nicht immer darum, seine Reichweite zu vergrößern und neue Subscriber zu finden. 

Wichtig sei vor allem die Qualität der Interaktionen zwischen Künstler*innen und Fans. Es gehe darum, seine wahren Fans zu finden und sich zu überlegen, wie man das Verhältnis zu diesen noch tiefer gestalten könne, um sich eine wertschätzende Community aufzubauen, die auch unabhängig von aktuellen Internettrends und Plattformentwicklungen bleibe.

Langfristig kreative Unabhängigkeit sichern

Die Studie von MIDiA und Amure verdeutlicht, dass kommerzieller Erfolg immer noch von großer Bedeutung für Künstler*innen ist, da dieser vonnöten ist, um von der eigenen Musik zu leben. Allerdings scheint sich die Vorstellung von Erfolg in den letzten Jahren dahin gewandelt zu haben, dass Musiker*innen neben der finanziellen Unabhängigkeit ihre kreative Unabhängigkeit immer mehr in den Mittelpunkt stellen. 

Früher haben sich Musiker und Musikerinnen eher auf Verträge mit Labels eingelassen und in Hoffnung auf den Durchbruch nach deren Vorgaben produziert. Heute hat sich die Bedeutung der Labels verändert. Neue Plattformen bieten viele Selbstvermarktungsmöglichkeiten, die einer kreative Selbstverwirklichung entgegen kommen.

Während traditionelle Erfolgsmarker zwar eine hohe Reichweite und womöglich hohe Einnahmen mit sich bringen, sind sie doch häufig nur kurzfristige Anker im Verlauf einer musikalischen Laufbahn. Um den Kurs langfristig zu halten, ist ein loyales Publikum unabdingbar, das auch dann noch erhalten bleibt, wenn Künstler*innen länger nichts veröffentlichen oder ihre Musik nicht mehr ständig im Radio läuft.

Hinsichtlich des Fan-Aufbaus liegt die Priorität auf der langfristigen Beziehungspflege, die nicht nur die finanzielle, sondern auch die kreative Unabhängigkeit sichert.

Ähnliche Themen

Das Future Music Camp 2024 liefert Tipps für erfolgreiches Marketing

Fannähe und Authentizität

Das Future Music Camp 2024 liefert Tipps für erfolgreiches Marketing

veröffentlicht am 14.06.2024   2

Billie Eilish: Was Musiker aus ihrer aktuellen Marketingkampagne lernen können

Fokus auf Fanbindung

Billie Eilish: Was Musiker aus ihrer aktuellen Marketingkampagne lernen können

veröffentlicht am 28.05.2024   1

Von Followern zu echten Verbindungen: Patreon-CEO Jack Conte über die Zukunft der Fan-Interaktion

Das Internet im ständigen Wandel

Von Followern zu echten Verbindungen: Patreon-CEO Jack Conte über die Zukunft der Fan-Interaktion

veröffentlicht am 26.04.2024   1

Tourneen, Songwriting, Mixing: Bruce Soord von The Pineapple Thief über das Leben und Überleben als Profimusiker

"Wirklich Vollzeitmusiker zu sein, das ist der Heilige Gral"

Tourneen, Songwriting, Mixing: Bruce Soord von The Pineapple Thief über das Leben und Überleben als Profimusiker

veröffentlicht am 26.03.2024

Newsletter

Abonniere den Backstage PRO-Newsletter und bleibe zu diesem und anderen Themen auf dem Laufenden!