×

Großes Potenzial

Verstanstaltungsbranche verstärkt Bemühungen um nachhaltige Konzerte

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 02.07.2024

liveszene festivalorganisation konzertorganisation nachhaltigkeit

Verstanstaltungsbranche verstärkt Bemühungen um nachhaltige Konzerte

© Wendy Wei via pexels.com

Die Reduzierung der Auswirkungen von Veranstaltungen auf die Umwelt steht im Mittelpunkt zahlreicher Bemühungen und Aktivitäten der Veranstaltungsbranche. Vor allem die Anreise des Publikums eröffnet die Möglichkeit, CO2-Emissionen zu vermeiden, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Die Veranstaltungsbranche beschäftigt sich zunehmend mit Konzepten, um Veranstaltungen klimaneutral und umweltfreundlich zu veranstalten. So hat das Massachusetts Institute of Technology (MIT) ein Beratungskomitee zusammengestellt, das einen Bericht über Live-Musik und Klimawandel verfassen soll.

Das Beratungskomitee besteht aus mehr als 50 Mitgliedern. Darunter befinden sich Wissenschaftler, aber auch Experten aus der Live-Musik- und Veranstaltungsbranche. Der erste Schritt besteht in der Durchführung einer Studie, die eine umfassende Bewertung der Beziehung zwischen Live-Musik und Klimawandel liefern soll. 

Suche nach Lösungen

Das Ziel besteht außerdem darin, Schlüsselbereiche zu identifizieren, in denen die Branche und Konzertbesucher*innen konkrete Verbesserungen zur Reduzierung der Emissionen erzielen können. Ebenso soll die Studie eine detaillierte Analyse der neuesten Technologien durchführen, die die Mitglieder nutzen können.

Nach Abschluss der Studie soll ein Bericht praktische Lösungen zur Reduzierung der Umweltauswirkungen von Live-Musik-Veranstaltungen auf allen Ebenen bereitstellen - von Pubs und Clubs bis hin zu Stadien.

Unterstützt wird die Initiative durch Coldplay, Warner Music, den Veranstaltungsgiganten Live Nation und Hope Solutions. Coldplay sind bekanntlich Vorreiter in diesem Bereich: Auf ihrer Music of the Spheres World Tour haben sie zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die CO2-Emissionen der Konzerte möglichst gering zu halten.

Informationen sind zentral

Aber nicht nur in den USA arbeiten Bands und Veranstalter an Konzepten, um Konzerte nachhaltiger zu gestalten. Die Kölner Band AnnenMayKantereit hat bei ihren Sommerkonzerten des Jahres 2023 mit dem "Ticket to Ride"-Projekt Informationen über die Art und Weise gesammelt, wie Besucher zu Konzerten gelangen. 

Gleichzeitig zielte das von The Chagency und Crowd Impact durchgeführte Projekt darauf ab, das Bewusstsein für eine nachhaltige Publikumsanreise zu schärfen. "Ticket to Ride"  soll auch als Praxisbeispiel für Künstler*innen und Veranstaltende dienen und sie ermutigen, nachhaltigere Lösungen für ihre Events zu suchen und praktisch umzusetzen. 

Kommunikation vor dem Konzert

Um das zu erreichen, setzte Ticket to Ride bei 10 Konzerten der AnnenMayKantereit Sommertournee 2023 mit insgesamt 215.000 Besucher*innen auf eine umfassende Informationskampagne, die das Publikum zu einer umweltfreundlichen Anreise motivieren sollte. 

Die umweltfreundlichen Anreisemöglichkeiten wurden über verschiedene Kanäle kommuniziert, beispielsweise erhielten alle Ticketinhaber*innen E-Mails mit genauen Informationen. Auf dem Instagram-Kanal der Band gab es Story-Highlights mit Anreise-Infos für alle Shows, die hauptsächlich positives Feedback erhielten.

Auch die Webseiten der Veranstaltungsorte und die Projektwebseite lieferten relevante Details, wie eine Infrastrukturanalyse und eine Auflistung von Anreisemöglichkeiten. Zusätzlich wurden Belohnungen, wie zum Beispiel Verlosungen, eingesetzt, um für eine umweltfreundliche Anreise zu werben.

Wie sind die Fans angereist?

38 Aktivist*innen von Fridays For Future befragten dem Bericht zufolge fast 5.000 Besucher*innen (2,3 Prozent der Gesamtheit) mit dem Umfragetool Crowd Impact zu ihrer Anreise. Zusätzlich wurden in fünf Städten insgesamt 676 Besucher*innen zu ihrer Wahrnehmung der umgesetzten Projektmaßnahmen befragt. 

Die Anreise des Publikums zu den 10 Konzerten der Pop-Rockband verursachte dem Projektbericht nach insgesamt 2.680,95 Tonnen CO₂, was über 88 Prozent der Emissionen der gesamten Tour ausmacht. Im Vergleich dazu trugen die Gastronomie nur zu 5,2 Prozent und die Tourproduktion nur zu 3,1 Prozent der CO₂-Emissionen bei.

Nach den Ergebnissen der Befragung sind 52 Prozent des Publikums mit öffentlichen Verkehrsmitteln, 7 Prozent mit dem Rad oder zu Fuß und 40 Prozent mit dem Auto angereist, wobei im Durchschnitt 2,8 Personen pro Auto fuhren. Dies liege über dem bundesweiten Durchschnitt von 1,9 Personen für Freizeitwege und könnte auf Fahrgemeinschaften hindeuten. 

Bedeutende regionale Unterschiede

Zwischen den einzelnen Städten gab es allerdings massive Unterschiede: Zu den beiden Konzerten in der Berliner Wuhlheide reisten deutlich über 80 Prozent des Publikums mit öffentlichen Verkehrsmitteln, auch in Zürich war der Anteil der ÖPNV-Nutzer mit 70 Prozent sehr hoch.

Die Bereitstellung eines Kombitickets kann Einfluss auf die Anreisemethode haben, denn 30 Prozent der Befragten gaben an, dass das im Ticketpreis enthaltene ÖPNV-Ticket ihre Entscheidung für die nachhaltige Anreise beeinflusst hat. 

Abgesehen von zwei Ausnahmen lag die Quote der ÖPNV-Nutzer in den übrigen Städten zwischen 40 und 60 Prozent, wobei insbesondere in Hamburg und Köln noch die Fahrradfahrer ins Gewicht fielen: In Hamburg fuhren knapp 10 Prozent der Besucher mit dem Fahrrad zur Trabrennbahn Bahrenfeld und in Köln radelten sogar mehr als 16 Prozent der Zuschauer zum RheinEnergieStadion.

Dazu trugen sicherlich auch Maßnahmen der Konzertveranstalter bei: Zusätzlich zu den dauerhaft installierten Fahrradstellplätzen wurden auch in Hannover und Dresden bewachte, temporäre Stellplätze geschaffen und über Band und Ticket-Anbieter kommuniziert.

87 Prozent der Dresdner Fahrradfahrer*innen wussten vorab davon, und 30 Prozent entschieden sich deshalb für das Fahrrad. 90 Prozent der Befragten betonten die Wichtigkeit sicherer Stellplätze, was die Bedeutung von Verfügbarkeit und Vorab-Kommunikation unterstreicht.

Zwei Orte fallen bei den nachhaltigen Anreisemethoden deutlich ab: In Hannover nutzten nur 35 Prozent den öffentlichen Nahverkehr oder Fernverkehr, um aufs Expo-Gelände zu gelangen. Fast alle Besucher des sehr ländlich gelegenen Losheim am See im Saarland reisten mit dem Auto an, da andere Optionen kaum in Frage kamen.

Aber auch in Frankfurt am Main und Wien nutzten ungefähr 45 Prozent der Zuschauer das Auto, obwohl sowohl die Festhalle als auch die Stadthalle hervorragend mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind. 

Wirksamkeit der Kommunikationsstrategie 

Laut der Umfrage vor Ort wussten 51 Prozent der Befragten, wie sie umweltfreundlich zum Konzert anreisen konnten, wobei die meisten davon ihre Informationen durch das Ticket to Ride-Projekt erhalten hatten. Das Mailout sei dabei am erfolgreichsten gewesen. 

Laut Bericht fiel das Anreiseverhalten der Personen, die im Voraus über nachhaltige Optionen informiert wurden, besonders umweltfreundlich aus. Diese Gruppe erzeugte 19 Prozent weniger Emissionen pro Person und 20 Prozent mehr Fans nutzten öffentliche Verkehrsmittel als Hauptverkehrsmittel. 

Entwicklung der Handlungsempfehlungen 

Anfang des Jahres 2024 wurden die Erkenntnisse des Projekts bei einem runden Tisch mit Entscheidungsträger*innen aus Musik- und Veranstaltungsbranche, Verkehr, Wissenschaft und Politik diskutiert. Diese Zusammenfassung präsentiert die Ergebnisse und das erlangte Wissen und ist unter www.tickettoride.net einsehbar. 

Der Bericht betont die Bedeutung einer nachhaltigen Anreiseinfrastruktur für Veranstaltungen, die durch die Zusammenarbeit von Politik und Verkehrsbetrieben gewährleistet werden sollte. 

Maßnahmen wie die Förderung entsprechender regionaler Projekte, die Verbesserung der öffentlichen Verkehrsanbindung und sichere Fahrradstellplätze sind dabei entscheidende Ansatzpunkte. 

Zudem sollten die Ticketanbieter nachhaltige Anreiseoptionen aktiv bewerben und in die Ticket-Mailouts an Besucher*innen integrieren. Es sei auch wichtig, Kombiticketangebote, die Nutzung des ÖPNV erlauben, als Standardoption anbieten.

Veranstaltende sowie Künstler*innen sollten nachhaltige Anreisemöglichkeiten aktiv bewerben und Anreize wie exklusive Gewinnspiele bieten. 

Zusätzlich sei es von Bedeutung, Konzerte in ländlichen Regionen zu verstärken und die Integration digitaler Plattformen zur Berechnung nachhaltiger Routen voranzutreiben.

Großes Potenzial

Sicherlich sind die Besucher eines AnnenMayKantereit-Konzerts ein besonders dankbares Publikum, um für eine nachhaltigere Anreise zu werben. Das liegt am jungen, mobilen, social-media-affinen Publikum der Band, in dem Studenten stark vertreten sind. 

Bei anderen Acts aus anderen Genres ist die soziale und altersmäßige Zusammensetzung völlig anders. Kommunikationskonzepte müssen also genau auf das jeweilige Publikum abgestimmt werden, um eine Wirkung zu erzielen.

Dennoch ist der Ansatz, Besucher durch gezielte Kampagnen zu informieren, sinnvoll und überzeugend. Der positive Ansatz der Organisatoren der Studie ist weit davon entfernt, die Zuschauer zu gängeln und zu kritisieren – im Gegenteil. 

Es wird immer Besucher geben, die nicht mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV zu Konzerten, Festivals und anderen Veranstaltungen anreisen können oder wollen. Aber es ist schon viel gewonnen, wenn es durch vergleichsweise leichte Maßnahmen gelingt, CO₂-Emissionen zu reduzieren. Dafür gibt es bei Veranstaltungen jeder Art ein gewaltiges Potenzial.

Nicht das Ende der Geschichte

Das hat auch der Bund erkannt. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr fördert ein Projekt mit dem Namen 'ECO2CONCERT' im Rahmen der Innovationsinitiative mFUND mit 1,1 Millionen Euro.

Dabei soll ein Projektteam, an dem neben Crowd Impact und The Changency u.a. auch das Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie und die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg beteiligt sind, ganzheitliche Verkehrs- und Nachhaltigkeitskonzepte für die in Ferropolis stattfindenden Festivals FullForce und Splash entwickeln und testen.

Man könnte auch sagen: Die Frage der Durchführung nachhaltiger Veranstaltungen ist ganz oben angekommen.

Ähnliche Themen

Coldplay übertreffen Ziele ihrer Bemühungen um nachhaltiges Touren

Aus Tanz wird Energie

Coldplay übertreffen Ziele ihrer Bemühungen um nachhaltiges Touren

veröffentlicht am 13.06.2024   3

Initiative Musik unterstützt Keychange-Kampagne für eine diversere und nachhaltigere Musikbranche

Die Chance etwas von Grund auf zu verändern

Initiative Musik unterstützt Keychange-Kampagne für eine diversere und nachhaltigere Musikbranche

veröffentlicht am 21.02.2024

Das Projekt "Plant A Seeed" zeigt, wie Großveranstaltungen nachhaltiger durchgeführt werden können

Veränderungen im Kleinen und Großen

Das Projekt "Plant A Seeed" zeigt, wie Großveranstaltungen nachhaltiger durchgeführt werden können

veröffentlicht am 18.09.2023   2

So macht ihr nachhaltig Musik: Von Tipps fürs Instrument bis zum Klimaschutz auf Konzerttournee

Kleinigkeiten machen den Unterschied

So macht ihr nachhaltig Musik: Von Tipps fürs Instrument bis zum Klimaschutz auf Konzerttournee

veröffentlicht am 01.10.2021   23

Newsletter

Abonniere den Backstage PRO-Newsletter und bleibe zu diesem und anderen Themen auf dem Laufenden!