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"Die Menge an Musikveröffentlichungen wird stark zunehmen"

Future Music Camp 2024: Kolja Spohn von ICE über die Auswirkungen von KI-Musik auf Verwertungsgesellschaften und Musikschaffende

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 05.06.2024

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Future Music Camp 2024: Kolja Spohn von ICE über die Auswirkungen von KI-Musik auf Verwertungsgesellschaften und Musikschaffende

Kolja Spohn ist Senior Business Relationship Director bei ICE. © ICE

Kolja Spohn ist Senior Business Relationship Director bei International Copyright Enterprise (ICE), einem Unternehmen, das Musik für Streaming-Dienste wie Spotify und Apple Music lizenziert. Im Interview spricht er über die Herausforderung von KI-Musik für die kollektive Rechteverwertung – ein Thema, das auch bei seiner Keynote beim Future Music Camp im Mittelpunkt stehen wird.

Backstage PRO: Hallo Kolja, was genau ist ICE?

Kolja Spohn: ICE ist im weiten Sinne ein Unternehmen von Rechteinhabern für Rechteinhaber. Die drei Gesellschafter von ICE sind drei der großen europäischen Verwertungsgesellschaften: die GEMA, die schwedische STIM und die englische PRS for Music.

Wir sind ein integrierter Licensing-Hub, d. h. wir lizenzieren Online-Rechte an Musikwerken für unsere Kunden an die DSPs (Spotify, Amazon, Apple Music, YouTube etc.) und verarbeiten Daten von DSPs (Nutzungsberichte, Abrechnungen etc.). Wir verfügen über eine Datenbank mit etwa 54 Millionen Musikwerken als Grundlage für genaue Lizenzgebührenverteilungen (daher das Wort „integriert“).

Im Wesentlichen gibt es 3 Servicebereiche (Copyright, Online-Processing, Licensing). Einige unserer Kunden nutzen alle 3 Servicebereiche, sie können aber auch nur einen Teil davon nutzen.

Wir sind sehr stolz, dass wir ab Mai dieses Jahres sagen können, dass wir in den letzten 12 Monaten 1 Milliarde Euro an unsere Kunden ausgeschüttet haben, was für uns und die Rechteinhaber ein bedeutender Meilenstein ist.

Diese Skalierung ist wichtig für die effiziente Verteilung der Lizenzgebühren zu einem niedrigeren Kostensatz, so dass ein höherer Teil der Lizenzgebühren die Autoren und Songwriter erreicht.

Backstage PRO: Welche Auswirkungen hat die KI-Revolution auf ICE bzw. deine Arbeit?

Kolja Spohn: KI ist ein weit gefasster Begriff und bedeutet für die Musikindustrie eine Reihe von Dingen mit unterschiedlichen Implikationen. Es umfasst Tools, die Songwriter/Komponisten in ihren Prozessen verwenden, ebenso wie Komponenten der DSP-User-Experience wie Songempfehlungen und natürlich auch den Bereich vollständig KI-generierter Musik.

Der weit überwiegende Teil der Lizenzgebühren aus der Branche stammt heutzutage nicht aus KI-generierter Musik. Die Branche arbeitet noch daran, wie KI reguliert werden soll, welche Bedingungen für die Lizenzierung neuer Arten der Nutzung (wie die Verwendung von Werken für Trainingszwecke) gelten und wie die Rechte der Urheber geschützt werden. Die Ergebnisse sind jedoch noch nicht vollständig definiert.

Wir beteiligen uns aktiv an diesen Gesprächen, arbeiten mit unseren Rechteinhabern zusammen und stehen im Dialog mit den DSPs, um den neuen Entwicklungen in der digitalen Musik gerecht zu werden, so wie wir es bei allen neuen Entwicklungen (von Downloads über Streaming bis hin zu User Generated Content) getan haben.

Backstage PRO: Die GEMA erwartet für die nächsten Jahre einen massiven Einbruch der Einnahmen durch die zunehmende Verbreitung von KI-Musik? Wie fällt deine Prognose aus?

Kolja Spohn: Dies ist definitiv eine der Hauptherausforderungen für die Branche – eine Verwässerung oder Umleitung der Tantiemen weg von Autoren und Komponisten zu vermeiden. Songwriting ist bereits ein schwieriger Beruf um ein nachhaltiges Einkommen zu erzielen. Obwohl einige KI-basierte Tools Autoren und Komponisten helfen und Vorteile bringen ist es von entscheidender Bedeutung, die Songwriter zu schützen.

Meiner Meinung nach wird es dabei neben dem Abschluss entsprechender Lizenzverträge mit den Dienstleistern, die auch das Training der KI-Systeme umfassen, auf die richtigen regulatorischen Absicherungen ankommen.

Backstage PRO: Glaubst Du, dass Streaming-Konzerne wie Spotify und andere DSPs anstreben, KI-Musik auf ihren Plattformen zu verwenden, um lizenzpflichtige Musik zu verdrängen?

Kolja Spohn: Durch den regelmäßigen Austausch zwischen allen Beteiligten und die gegenseitigen Abhängigkeiten halte ich das im genannten Rahmen nicht für wahrscheinlich. Falls sich das bei einem der großen DSPs andeuten würde, bekommen es ganz schnell alle mit. Momentan wäre KI-Musik sicherlich auch keine gute User-Experience, aber die Dinge entwickeln sich ja sehr schnell, so dass wir für die Zukunft gute Schutzmechanismen benötigen.

Backstage PRO: Ich hatte in den letzten Wochen zahlreiche Gespräche mit Musikverlegern und Komponisten. Alle äußerten große Befürchtungen hinsichtlich KI, vor allem das Wegbrechen des musikschaffenden "Mittelstands". Wie siehst du das? Und wie könnten Lösungen aussehen?

Kolja Spohn: Meines Erachtens ist schon damit zu rechnen, dass die Wettbewerbssituation sich insbesondere in Bereichen, in denen die Künstliche Intelligenz besonders einfach die von Menschen gemachte Musik ersetzen kann, verschärfen wird. Der Musiker, Filmkomponist und Musikberater Michael Beckmann hat mit Hinblick auf den Bereich der klassischen Stock bzw. Library Music zur Stimmungsunterlegung von Fernsehdokumentationen erst kürzlich bekräftigt, dass dieser Verdrängungswettbewerb schon in vollem Gange ist und bereits einige Berufseinsteiger ihre Jobs und Aufträge verlieren.

Meiner Ansicht nach wird es in der kommenden Zeit für die Künstler bzw. Autoren wichtig sein, sich intensiv und flexibel mit der KI-Technologie auseinanderzusetzen, um auch da wo es geht ihre Vorteile zu nutzen, zB. Kosten bei der Produktion und Vermarktung zu sparen, aber ein Patentrezept gibt es sicherlich nicht.

Auf politischer Ebene ist es wichtig, mit entsprechenden Regelwerken vor allem für Transparenz zu sorgen, da nur dies dann auch entsprechende Nutzungsnachweise und Möglichkeiten der Lizenzierung ermöglicht. Mit der KI-Verordnung der EU ist auf jeden Fall schon einmal ein wichtiger Schritt in diese Richtung gemacht worden. Dass die entsprechende Transparenzverpflichtung in die KI-Verordnung aufgenommen wurde, ist nicht zuletzt auch ein großes Verdienst der Lobbyarbeit der Verwertungsgesellschaften und Rechteinhaber.

Backstage PRO: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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